Dass der strenge Lockdown heute startet, war keine Entscheidung, die sich die Politik besonders leicht gemacht hätte. Im Gegenteil: Es war sogar eine besonders schwere Geburt in der türkis-grünen Koalition – ein langes Ringen vor allem um die Schulschließungen, nicht unbedingt nur entlang Parteigrenzen.
Aber von vorne: Nach den Sommerferien wollte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eigentlich mit neuen Verschärfungen in den Herbst starten – und kündigte das in seinem ORF-„Sommergespräch“ Ende September groß an, in dem er (wie in seiner Sommerschluss-Rede danach) die Österreicher auf einen „schweren Herbst und Winter“ einschwor.
Nur hatte Kurz die Rechnung ohne den Wirt gemacht – und Verschärfungen im Auge, ohne sich mit dem Zuständigen darauf zu einigen: In Rudolf Anschobers (Grüne) Sozialministerium nämlich war ein deutlich behutsamerer Kurs angesagt. Zunächst begnügte man sich mit Empfehlungen, danach mit der Ausweitung der Maskenpflicht auf alle Handelsbetriebe – jeweils gestützt auf die Expertise der Gesundheitsagentur Ages, die Woche für Woche eine Abflachung der Infektionskurve vorhersagte.
Was freilich so nie eintrat. Kurz’ Kabinett betrachtete auf teils selbst gebastelten Tabellen und im Vergleich mit anderen Staaten die Entwicklung – aber im Gesundheitsministerium blieb man vorerst der eigenen Expertise treu und beschwor, „nur keinen zweiten Lockdown“ zu wollen.
"Widerspruch, der eskalierte"
Ein Widerspruch, der im vergangenen Monat weiter und weiter eskalierte – so wollte Kurz bereits vor zwei Wochen mit dem „soften“ Lockdown die Schulen schließen, um das Weihnachtsgeschäft im Handel zu retten.
Der sonst als so durchsetzungskräftig inszenierte Kanzler scheiterte hier an einer Allianz aus Grünen – denen die Schulen wichtiger als der Handel waren –, aber auch an seinem Parteifreund BildungsministerHeinz Faßmann sowie an den ÖVP-geführten Ländern. Letztere standen auf der Bremse, weil sie fürchteten, dass betreuungspflichtiges Pflegepersonal in Landesspitälern und -heimen ausfallen könnte, wenn Eltern ihre Kinder zu Hause betreuen müssen.
Erst vergangenen Montag kam angesichts lautstarker Warnungen aus den Intensivstationen schließlich Bewegung in die Sache – in hektischen Diskussionen einigte sich die Koalition auf den großen Lockdown, in dem einerseits der Handel sperren muss.
Bei den Schulen verständigte man sich auf einen späten Kompromiss: Die Grünen konnten kommunizieren: „Die Schulen bleiben offen“, während die ÖVP die Leute aufforderte, ihre Kinder zu Hause zu lassen. Eine Linie, die ihrerseits wieder zu allerlei Unklarheiten führt.
Georg Renner