Es war ein Höchstwert mit Anlauf. Noch bevor die Zahlen des Vortages eintrudelten, kündigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Donnerstagvormittag einen sprunghaften Anstieg der Corona-Neuinfektionen an. Seit Tagen klagen die Bundesländer über Verzögerungen im Epidemiologischen Meldesystem (EMS). Diese Probleme seien nun zwar behoben, es werde aber noch zu Nachmeldungen von Fällen kommen, so Anschober.
Mehr als 10.000 neue Fälle schafften es bis gestern früh schließlich ins EMS. Das öffentlich einsehbare "Dashboard" der Ages berücksichtigt dabei den jeweiligen Tag der Labordiagnose, nicht jenen der Meldung. Dadurch lässt sich dort die Zahl der Nachmeldungen erkennen. Exakt 8469Neuinfektionen werden auch tatsächlich dem Mittwoch zugeordnet, 1105 dem Vortag und fünf Fälle wurden sogar schon am 27. Oktober diagnostiziert.
Serverprobleme
Schuld an diesen Problemen sind die Server, auf denen das EMS läuft. Durch die enorme Zahl an Meldungen sowohl positiver als auch negativer Tests, seien die Server derart ausgelastet gewesen, dass es zu diesen Verzögerungen gekommen ist, heißt es in einer Stellungnahme des Gesundheitsministeriums. Es werde aber versichert, dass die Kapazitäten laufend erweitert werden und durch die Verzögerungen keine Meldungen verloren gegangen seien. Eine Nachfrage, wie hoch diese Kapazitäten derzeit sind und wieso sie nicht früher erhöht wurden, blieb unbeantwortet.
Scharfe Kritik war zuvor von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) gekommen. Ihm hätte die Ages mitgeteilt, dass das Meldesystem nur darauf ausgelegt sei, "7000 Salmonellenfälle im Jahr" zu dokumentieren – nicht für eine Pandemie des aktuellen Ausmaßes. Das Gesundheitsministerium preist das EMS dennoch an, weil es die Überwachung des Infektionsgeschehens "nahezu in Echtzeit" ermögliche.
Kritik aus der Wissenschaft
Von wissenschaftlicher Seite gibt es aber teils heftige Kritik an den Verzögerungen: "Wenn die Fälle erst nach Tagen dem Diagnosedatum zugeordnet werden, dann weiß ich alles deutlich zu spät", sagt Erich Neuwirth. Der emeritierte Statistik-Professor liefert auf seinem Blog covidanalysen.at und seinen rund 18.500 Twitter-Followern täglich Analysen der aktuellen Zahlen. Einerseits aus eigenem Interesse, wie er sagt, andererseits auch, weil keine öffentliche Stelle ähnliches anbietet: "Den Leuten sollte man aber detaillierte Informationen darüber geben, wie sich die Situation entwickelt."
Während Neuwirths Analysen lediglich der Information dienen, haben jene des Complexity Science Hubs (CSH) tatsächliche Auswirkungen. Der CSH liefert der Regierung Modelle, Simulationen und Prognosen und schlägt in eine ähnliche Kerbe: "Wenn es wie derzeit zu massiven Fehl- und Nachmeldungen der Behörden kommt, wird es zunehmend unmöglich, selbst das gegenwärtige Infektionsgeschehen und das der nahen Vergangenheit abzubilden, geschweige denn, zukünftige Fallzahlen zu prognostizieren", schreibt der CSH gestern in einem Policy Brief und fordert eine "massiv verbesserte Datenlage".
Peter Schöggl