Der Anschlag in Wien machte deutlich, worüber Österreich seit eineinhalb Jahren diskutiert, ohne eine Lösung gefunden zu haben: 320 Österreicher sind aus dem Dschihad in unser Land zurückgekehrt sind - viele von ihnen aufgrund ihrer Kriegserfahrungen potenziell gewaltbereit. Der Rechtsstaat hat noch keine Antwort darauf gefunden, wie mit ihnen umzugehen ist, sodass keine Gefahr mehr von ihnen ausgeht und gleichzeitig ihre Rechte nicht unzulässig beschnitten werden.
- Es geht um Rückkehrer, die zunächst einfach nur da sind.
- Und es geht um verurteilte Straftäter, die - vorzeitig oder nach Verbüßung der vollen Haftstrafe - zurück in die Gesellschaft entlassen werden.
Der Täter vom Schwedenplatz gehört zur zweiten Gruppe, und er machte sichtbar, wie ohnmächtig der Rechtsstaat Menschen wie ihm gegenüberstehen. Nach Verbüßung der vollen Haftstrafe werden auch Gefährder ohne Bedingungen freigelassen. Die vorzeitige Freilassung erfolgte nicht zuletzt deshalb, weil dies die einzige Möglichkeit ist, weiter zu begleiten, nämlich einerseits in Form der Bewährungshilfe und andererseits im Gestalt einer Begleitung durch Derad, ein Programm zur Deradikalisierung, das vom Justizministerium ausgeht.
Hände gebunden
Das Problem: Das Gespräch mit einem Therapeuten von Derad, womöglich nur einmal im Monat und ohne Hinweis darauf, ob der kampferprobte IS-Kämpfer mit dem Therapiegespräch tatsächlich auch "erreicht" wird, ist kein Beweis dafür, dass vom Betroffenen keine Gefahr mehr ausgeht. Ohne diesen Beweis für geplante Straftaten aber sind der Justiz die Hände gebunden.
Im August vor einem Jahr kamen die ersten IS-Kämpfer zurück nach Österreich, auch "IS-Bräute", zum Teil auch mit Kindern, von denen man erst recht nicht weiß, wie man ihr Gewaltpotenzial einzuschätzen hat. Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft kann die Rückkehr nicht verweigert werden, sie haben ein Grundrecht auf Einreise.
Europa ratlos
Der damalige Innenminister Wolfgang Peschorn tauschte sich dazu mit den Innenministern aller europäischen Staaten aus, ein taugliches Instrumentarium hat keiner, insbesondere auch nicht Deutschland. Einzig die Niederlande bemühten sich um eine konsequente Vorgangsweise.
Eine mögliche Antwort der Politik auf das Dilemma war die "Sicherungshaft". Sie steht sogar im Regierungsprogramm, ÖVP und Grüne konnten sich über die Details aber nie einigen. Das Instrument soll eine Handhabe dafür bieten, dass gegen "Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden", vorgegangen werden kann. Für eine Haft ohne Vergehen müsste allerdings die Verfassung geändert werden, und dazu waren die Grünen bisher nicht bereit.
Innenminister Karl Nehammer rieb sich im Falle des Attentäters von Wien an der vorzeitigen Entlassung durch die Justiz. Justizministerin Alma Zadic revanchierte sich mit dem Vorschlag, die Kontrolle nach der Haft "engmaschiger" zu gestalten. Auf Ebene der Klubchefs wird nun verhandelt.
Vorbeugend Freiheitsentzug
Eine Lösung, die schon in der Zeit von Nehammer-Vorgänger Wolfgang Peschorn diskutiert wurde, wäre die Einführung einer zusätzlichen vorbeugenden, freiheitsentziehenden "Maßnahme", wie sie etwa für geistig abnorme Rechtsbrecher in Form der Einweisung in eine Anstalt zur Anwendung kommt.
Im Falle der islamistischen Gefährder könnte das ein Gerichtsverfahren sein, das auf einer Analyse des Gefährdungspotenzials beruht und mit der Einweisung in eine ... endet. Mit der Möglichkeit natürlich, die Gefährdungsanalyse später, auf Basis gesicherter Erkenntnisse, zu evaluieren.
Die damalige Diskussion wurde im Herbst 2019 beendet, als die Wahlen vor der Tür standen.
Claudia Gigler