Herr Professor, ist der neue Lockdown rechtlich wasserdicht? Bisher ist die Regierung nicht gerade durch juristische Glanzleistungen aufgefallen.
Karl Stöger: Der Großteil ist wasserdicht. Es gibt ein paar grundsätzliche Fragen, die der Verfassungsgerichtshof klären muss. Diesmal kann man der Regierung ein hohes Bemühen und eine deutliche Qualität attestieren.
Die juristische Lernkurve zeigt nach oben?
Ja, absolut. Man hat die Ratschläge des Verfassungsgerichtshofs sehr ernst genommen. Ich sehe keinen schweren Schnitzer aber Zweifelsfragen, wo die Höchstrichter anders entscheiden könnten.
Wie zum Beispiel?
Etwa die Frage der Abgrenzung zwischen Wohnbereich und privaten Bereich. Dass Gartenpartys untersagt werden, ist grundvernünftig. Die Regelung steht in einem Spannungsverhältnis zum Covid-Gesetz, das den Wohnbereich weiter fasst. Stadln sind ohne Probleme zu regeln, der eigene Garten und die eigene Garage sind ein Grenzfall.
Damit hätte man wieder keine Handhabe gegen Corona-Partys?
Die Regelung, dass sich nicht mehr als zwei Familien treffen dürfen, gilt für den öffentlichen Raum. In den eigenen vier Wänden können Sie schon mehr Leute einladen, allerdings kommt der Passus, dass „das Verweilen außerhalb des eigenen privaten Bereichs von 20 Uhr bis 6 Uhr“ nicht erlaubt ist, einem Übernachtungsverbot gleich. Das ist sehr sinnvoll. Sonst laden Sie 20 Personen über Nacht zu sich ein und machen eine Corona-Party im Wohnzimmer. Das ist nicht erwünscht.
Müsste nicht die Polizei nachschauen können?
Dann müsste man das Gesetz ändern, das wäre nicht sinnvoll. Wenn die Polizei Häuser abklappert, haben wir Zustände, die wir nicht wollen. Wenn alles nicht funktioniert, ist es durchaus eine Option. Schön wäre es, wenn man das Virus ohne eine solche Maßnahme in den Griff bekommt. Wer es immer noch nicht kapiert hat, dem ist nicht zu helfen.
Sind die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen mit den fünf Ausnahmen in Ordnung?
Diese sind eins zu eins aus dem Covid-Gesetz abgeschrieben. Hier haben wir es mit einer freiheitswiederherstellenden Regelung zu tun, weil die Beschränkungen zeitlich begrenzt sind. Wenn ich dem Grundsatz „Im Zweifel für die Freiheit“ folge und die Polizei mit Augenmaß agiert, sehe ich wenig Probleme.
Von der juristischen Systematik entsprechen die neuen Ausgangsbeschränkungen jenen im März?
Ja, es ist die März-Regelung auf zehn Stunden beschränkt, aber mit der gesetzlichen Grundlage, die im März gefehlt hat. Diesmal hat man deutlich mehr Sorgfalt an den Tag gelegt.
Wo sehen Sie noch Zweifelsfragen?
Ein weiterer Punkt ist, ob die Maßnahmen ausreichend belegt und dokumentiert sind. Das hat der Verfassungsgerichtshof zweimal vehement eingefordert. Ich gehe davon aus, dass die Regierung diesmal alles genau dokumentieren kann, im Vorfeld der Erarbeitung der Verordnung wurden ja Intensivmediziner konsultiert. Wenn man auf ganz Europa blickt, sieht jeder, dass wir nicht die einzigen sind.
Reicht eine generelle Begründung? Oder muss diese auf einzelne Branchen heruntergebrochen werden - etwa, warum Theater zusperren müssen, Baumärkte aber nicht?
Das ist eine wichtige Frage. Wenn sich der Verfassungsgerichtshof mit einem schlüssigen Gesamtsystem begnügt, kann es einzelne Ausreißer geben. Wenn jede Einzelmaßnahme für sich begründet sein muss, kann jedes Detail in Zweifel gezogen werden: Warum wird die Obergrenze bei sechs und nicht bei sieben Personen eingezogen? Der Vfgh hat im Sommer festgehalten, dass die Verwaltung einen gewissen Spielraum hat. Wenn man das glaubhaft machen kann, sind Unschärfen möglich.
Es gibt schon Rechtsanwälte, die mit den Füßen scharen...
Ich finde es richtig, dass einzelne Anwälte Details kritisieren. Nur: Wüssten wir schon alles über Covid, könnte man viele präzisere Maßnahmen setzen. Dass die Regierung ein umfassendes Rettungspaket für jene, die besonders hart getroffen sind, geschnürt hat, muss in die Gesamtbeurteilung einfließen.
Karl Stöger ist seit 1. Oktober Universitätsprofessor für Medizinrecht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Zuvor war er Professor für Verwaltungsrecht an der Uni Graz.