Die Covid-Infektionszahlen steigen unvermindert an, mit einiger Zeitverzögerung auch die Belegung der Intensivbetten. Um den aktuellen Stand der Auslastung des Gesundheitssystems auszuloten und die weitere Entwicklung prognostizieren zu können, traf die Regierung heute Mittag mit medizinischen Experten zusammen und informierte anschließend bei einer Pressekonferenz.
Das erwartete exponentielle Wachstums der Zahl der Neuinfektionen sei eingetroffen, so die Regierung. Ehe ein Lockdown, der sich aller Voraussicht nach am deutschen Modell orientieren wird, in Kraft treten kann, muss der Hauptausschuss des Parlaments zusammentreten und mit einfacher Mehrheit den Maßnahmen zustimmen. Voraussetzung für einen Lockdown ist laut Covid-Gesetz, dass das Gesundheitssystem an seine Kapazitätsgrenzen zu kommen droht. Kanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober: "Wir haben akuten Handlungsbedarf." Man werde "deutlich, deutlich nachjustieren müssen".
Ob mit einem Lockdown noch diese Woche zu rechnen ist oder erst zu Beginn der nächsten Woche, ist vorerst noch offen. Am Samstag will die Regierung konkrete Schritte bekannt geben, nachdem sie am Freitag mit den Sozialpartnern und am Samstag mit den Landeshauptmannen und der Opposition konferiert hat.
Für Allerheiligen gilt: Es wird an alle Österreicher appelliert, auf größere Familienzusammenkünfte zu verzichten und keine Halloween-Partys zu feiern.
Das sind die Eckpunkte der besorgniserregenden Entwicklung:
- Der von Kanzler Kurz genannte Schwellenwert von 6.000 Neuinfektionen pro Tag für die Notwendigkeit eines neuerlichen Lockdown wurde von den Experten bestätigt. Die Regierung rechnet mit 5.800 Neuerkrankungen pro Tag gegen Ende der kommenden Woche.
- Von 100 Neuerkrankten kommt einer innerhalb von fünf bis sieben Tagen ins Spital auf die Intensivstation, er muss dort im Schnitt 12,5 Tage lange versorgt werden.
- Die zweitgrößte betroffene Gruppe ist inzwischen die Gruppe der über 85 Jahre alten Österreicher, nach der Gruppe der 15 bis 24-Jährigen. Zunehmend sind auch wieder die Alten- und Pflegeheime betroffen.
- Die Auslastung der Intensivstationen ist derzeit noch nicht am oberen Ende, hier ist aber mit einer Zeitverzögerung zu rechnen: Die massiv gestiegenen Zahlen an Neuinfektionen in der Vorwoche wirken sich erst in den kommenden Tagen aus. Man habe es im Schnitt mit einer Verdoppelung innerhalb einer Woche zu tun. Anschober. "Damit könnte die Kapazitätsgrenze Mitte, Ende November erreicht sein."
- Wenn die Intensivstationen ausgelastet sind, müssen die Ärzte entscheiden, wen sie behandeln und wen nicht. Das will die Regierung um jeden Preis vermeiden.
Die Experten verwiesen darauf, dass maximal 1.800 Intensivbetten zur Verfügung stehen, 60% davon sind durch andere Fälle belegt. Es bleibt also ein Potenzial von 700 bis 800 Betten, das für Covid-Patienten zur Verfügung steht. Derzeit sind rund 250 Covid-Patienten auf Intensivstationen. Im Frühjahr waren es maximal 268, danach sei die Zahl rasch gesunken. Das sie derzeit aber nicht zu vermuten, eher ein weiterer Anstieg.
Nächtliche Ausgangssperren stehen angeblich im Raum, um die sozialen Kontakte zu beschränkten, doch dazu wollte sich die Regierung bisher noch nicht äußern.
In Deutschland müssen Gastronomie sowie Freizeit-, Kultur- und Sporteinrichtungen für vier Wochen schließen, in der Öffentlichkeit dürfen sich nur noch Angehörige zweier Haushalte treffen (maximal zehn Personen). Schulen, Kitas und der gesamte Einzelhandel bleiben in Deutschland aber offen.
Die rechtliche Seite ist nur ein Aspekt, den die Regierung im Auge behalten muss. Entscheidend für den Erfolg ist, dass die Maßnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden. Da die Auswirkungen des aktuellen Infektionsgeschehens erst Wochen später in den Intensivstationen spürbar werden, müssen Maßnahmen getroffen werden, ehe Engpässe für alle sichtbar werden. Diese Zusammenhänge standen im Mittelpunkt des Expertentreffens und der anschließenden Kommunikation.
Claudia Gigler