Herr Minister, wann öffnen Sie die Corona-Schublade?
Rudolf Anschober: Wir setzen zunächst offensiv auf regionale Maßnahmen. Regional kann man immer punktgenau auf die spezifischen Ausbruchsursachen abzielen. Das zeigt, dass die Ampel funktioniert.
Wann zieht der Bund nach?
Anschober: Wir arbeiten gerade Bundesmaßnahmen aus, diese müssen zu den regionalen Regelungen dazu passen. Auch der Zeitpunkt dafür muss stimmen.
Kuchl wird am Samstag unter Quarantäne gestellt. Kann man davon ausgehen, dass das nicht der erste und letzte Ort ist, über den ein Lockdown verhängt wird?
Anschober: Salzburgs Landeshauptmann Haslauer hat mich am Donnerstag in der Früh darüber informiert, dass es diese Planung gibt. Ich habe mir das angeschaut und dem zugestimmt. Da gibt es ein Konsensprinzip. Wie mir die Situation in Kuchl geschildert wurde, ist diese ungewöhnlich und spezifisch, weil ein kleiner Teil der Bevölkerung offenbar falsche Angaben beim Kontakt-Management gemacht und die Quarantäne nicht eingehalten hat.
Ist das wirklich ein speziell lokales Problem? Gibt es nicht in ganz Österreich diese Corona-Müdigkeit, die dazu führt, dass Leute nicht bei 1450 anrufen, weil dies Auswirkungen auf die Familien, den Arbeitsplatz, den Bekanntenkreis haben könnte?
Anschober: Die Müdigkeit ist absolut legitim. So geht es uns doch allen. Wir sind jetzt im achten Monat der Krise. Wir haben eine Phase, die wir alle in unserem Leben noch nie so erlebt haben. Unser Alltag hat sich umgestellt, wir müssen auf viele liebgewordene Normalitäten verzichten. Das ist anstrengend und mühsam. Das erlebe ich in meinem Privatleben genauso wie jeder andere Mensch auch. Was aber falsch eingeschätzt wird: Wir haben es nicht mit einem Tsunami zu tun, der über uns hinweg rollt. Wir wissen genau, wie wir die Pandemie stoppen können. Das ist der ganz große Unterschied. Es liegt nämlich in unserer Hand, die Krise zu bewältigen. 90 Prozent machen das großartig, aber drei bis vier Prozent, die es nicht machen, können alles zusammenhauen. Es geht um die Verantwortung für das Ganze.
Reichen Appelle aus?
Anschober: Jedem muss bewusst sein, dass wirtschaftlich viel am Spiel steht. Die jetzigen Wirtschaftsprognosen gehen davon aus, dass wir eine Stabilisierung schaffen. Wenn die Pandemie noch sehr viel länger in einer akuten Form weitergeht, wird das für uns alle extrem schwierig. Das „worst case“ Szenario wäre, dass es zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems kommt. In Tschechien steht es offenbar bevor. In Österreich sind wir noch weit davon entfernt, und so muss es bleiben.
Ist es nicht viel zu einfach, alles auf die jungen Leute, die nach Partys hungrig sind, zu schieben?
Anschober: Wir können das Thema nicht auf die jungen Leute reduzieren. Es gibt zwei alarmierende Entwicklungen. Zum einen steigt der Altersdurchschnitt deutlich an. Wir sind jetzt wieder bei über 40 Jahren, wir waren schon bei 33. Zum anderen gibt es relativ viele neue Infektionsfälle in Alten- und Pflegeheimen, was mir große Sorge bereitet. Wir müssen die Betroffenen gut schützen - nicht isolieren, sondern sehr vorsichtig beim Zugang sein und gut vor Ort testen.
Wären nicht Ausgangssperre nach französischem Beispiel die wirkungsvollste Maßnahme?
Anschober: Ich sehe darin keine Lösung. Maßnahmen wirken nur, wenn die Bevölkerung auch mittut. Es muss wieder einen Ruck im Bewusstsein geben. Wir müssen wieder zu der Frühlingsstimmung kommen, wo Österreich ein Land der Solidarität und der Mitverantwortung gewesen ist.
Sie klingen ratlos.
Anschober: Ganz im Gegenteil!
Ernüchtert und verzweifelt?
Anschober: Nein, aber es wird immer klarer, wo unser Problem liegt. Mich hat bei der aktuellen Video-Konferenz mit den Bezirkshauptleuten der orangen und roten Bezirke überrascht, dass die Grundanalyse überall dieselbe ist: Unser Hauptproblem sind die privaten Feiern. Das können auch klassische Familienfeiern sein, eine Firmung oder eine Bus-Tour.
Was könnte die Regierung da konkret machen?
Anschober: Wir brauchen das Verständnis und den solidarischen Beitrag der Bevölkerung. Damit steht und fällt alles.
Eine Verlängerung der Herbstferien für Schüler wäre somit eine Themenverfehlung?
Anschober: Wir schauen uns alle Szenarien an. Was wir von den Experten hören, werden Infektionen an Schulen eher eingeschleppt. Schulen sind ganz selten der Ausgangspunkt.
Wird jetzt das Vollvisier verboten?
Anschober: Wir schauen uns das gerade an. Es gibt viele Studien, die besagen, je mehr die Luft oben, unten und seitlich austreten kann, desto problematischer ist es, was die Schutzwirkung betrifft. Es darf keine Alibimaßnahmen geben