Wer vor der letzten Nationalratswahl die Hoffnung äußerte, ins Kanzleramt würde bald eine türkis-grüne Koalition einziehen, wurde als Utopist, Fantast, politischer Naivling abgetan. Am Sonntag wählt Wien. Glaubt man den Meinungsforschern, dürfte Bürgermeister Michael Ludwig künftig zwischen drei Partnern wählen. Die Wahrscheinlichkeit einer Koalition mit der ÖVP scheint sehr gering zu sein, die Marschroute in der Volkspartei gibt nicht der schwarze Wirtschaftskammerchef Walter Ruck, sondern Gernot Blümel vor.
Rot-Grün die wahrscheinlichste Option
Nicht auszuschließen, dass sich Blümel nach geschlagener Wahl sogar als Koalitionspartner anbietet, allerdings wird er den Preis so hochtreiben, dass Ludwig das Angebot ausschlägt. Was das sein könnte? Die simple Forderung, dass die ÖVP den Finanzstadtrat stellt. Die Fortsetzung von Rot-Grün scheint – aus heutiger Sicht – die wahrscheinlichste Option zu sein. Zwar hat man in den sehr mächtigen, roten Flächenbezirken die Nase voll von Pop-up-Radwegen und anderen grünen Projekten, die der Verkehrsberuhigung dienen. Auch hängt der Lobautunnel wie ein Damoklesschwert über Rot-Grün. Andererseits scheint Ludwig nicht ein Freund großer Experimente zu sein, was gegen die dritte Option spricht.
Würde Ludwig mit den Neos koalieren, hätte Wien erstmals einen österreichisch-französischen Doppelstaatsbürger als Vizebürgermeister. Christoph Wiederkehrs Vater stammt aus Ungarn, seine Mutter aus Frankreich. Die österreichischen wie auch die französischen Gesetze sehen vor: Wer von Geburt an beide Staatsbürgerschaften besitzt, weil der Vater Österreicher und die Mutter Französin ist (oder umgekehrt), kann beide behalten. Ganz legal. Und hat Anspruch auf zwei Pässe und darf in beiden Ländern wählen. Wiederkehr gab bei der Stichwahl in Frankreich seine Stimme für Macron ab.
Die Forderungen der Neos für einen Eintritt in die Wiener Regierung sind nicht unüberwindbar: Schwerpunkt auf Schule und Bildung, Senkung der Gebühren, mehr Klimaschutz, Belebung der Grätzl und die Ausweitung der Prüfkompetenz des Landesrechnungshofs auf alle Wiener Parteikassen. Letzteres ist ob der historisch gewachsenen, roten Verfilzungen sicherlich schmerzhaft für die SPÖ, ein Schulterschluss mit den Neos würde aber zumindest bildungspolitisch einen neuen Aufbruch signalisieren.
Voraussetzung ist natürlich, dass sich Rot-Pink ausgeht. Kommt die SPÖ auf 42 Prozent und schaffen die Neos zumindest etwas mehr als sieben Prozent, könnte diese Allianz rein rechnerisch das Licht der Welt erblicken. Damit die Neos auch den Vizebürgermeister stellen, müsste allerdings der Stadtsenat vergrößert werden. Was mit Mehrheit möglich wäre.