Ein einheitliches System will Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) für die Pflege in Österreich schaffen - ein transparentes System mit Angeboten, die für jeden Betroffenen rasch erkennbar und zugänglich sind.
Am Anfang stand die "Dialogtour" - durch sechs Bundesländern reiste Anschober bereits, um sich ein Bild von den Bedürfnissen vor Ort zu machen, drei weitere stehen noch am Programm. Denn, so Anschober: "Die Reform soll auf dem Wissen und dem Knowhow der Betroffenen aufbauen."
Parallel zu dieser Besuchstour läuft ein digitaler Dialog: Interessierte Menschen wurden danach befragt, was sie brauchen und was sie sich wünschen. Die Ergebnisse wurden heute präsentiert. Ab 20. Oktober werden in fünf Fachbereichen Lösungen erarbeitet. Im Jänner soll das inhaltliche Gerüst der Reform stehen und die Umsetzung starten.
Die stellvertretende WIFO-Leiterin Famira Mühlberger skizzierte die Rahmenbedingungen:
Zahl der Über-85-Jährigen steigt
Der Anteil der über 85-Jährigen werde sich bis ins Jahr 2050 verzweieinhalbfachen, in manchen Regionen Österreichs sogar verdrei- bis vervierfachen. Dabei gebe es ein Gefälle von Westen nach Osten, das mit der innerösterreichischen und der außerösterreichischen Migration zusammenhängt: Im Raum Wien etwa gebe es besonders viele Zuwanderer, und diese seien tendenziell jünger.
Diese Veränderung der Altersstruktur bedeute ein Mehr an finanziellem Aufwand. Derzeit liege Österreich gemessen am Anteil des BIP, der für Pflege aufgewandt wird, im unteren Drittel Europas. Skandinavien und die Niederlande etwa geben heute schon so viel Geld aus wie Österreich im Jahr 2050 ausgeben müssen wird.
Ein hoher Anteil der Ausgaben fließe in Gehälter und Löhne, und das sei die gute Nachricht, wo Mühlberger: Denn diese Ausgaben seien ein starker Wirtschaftsfaktor, das Geld werde ja wieder ausgegeben, Arbeitsplätze würden im Pflegebereich geschaffen. "Das muss unbedingt auch unter diesem Blickwinkel betrachtet werden."
Bis zum Jahr 2030 werde man 100.000 Menschen zusätzlich im Pflegebereich brauchen, eine Zahl, die unter Einrechnung der Teilzeitkräfte mindestens 76.000 Vollzeit-Arbeitsplätzen entspreche.
Vier Schwerpunktthemen
Vier Themen stünden bei der Betrachtung in den kommenden Wochen nun im Vordergrund:
- Es sei nicht nachzuvollziehen, warum es in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Zuzahlungen und unterschiedliche Personalschlüssel für die stationäre Betreuung gebe.
- Es müsse eine bessere Kooperation von Bund, Ländern und Gemeinden geben. Das Angebot müsse transparent ersichtlich sein, aber auch der Bedarf müsse regional erhoben werden und in die Planung einfließen.
- In Bezug auf die komplexen Finanzströme bedürfe es einer Entflechtung, die Finanzierung müsse aus einer Hand erfolgen.
- Zusätzliches Pflegepersonal müsse rekrutiert werden, auch durch Umschulung und das Anwerben von WiedereinsteigerInnen.
Ohne zusätzliches Geld für die Finanzierung - sei es aus einer Pflegeversicherung oder aus Steuermitteln - werde es aber jedenfalls nicht gehen, betont Mühlberger.
Gesundheitsexpertin Brigitte Juraszovich erläuterte die Rückmeldungen aus dem digitalen Dialog, aufgeschlüsselt auf die Gruppen der Befragten:
- Angehörige und Pflegebedürftige: Sie schätzen die Breite des Angebots, dieses sei aber zum Teil schwer zugänglich, es mangle an Informationen, insbesondere für neu Betroffene. Wenn man das Angebot kenne, sei es für Angehörige auch gut möglich, Beruf und Familie (inklusive der Betreuungsnotwendigkeiten) gut zu vereinbaren. Die Betroffenen wünschen sich eine zentrale Kontaktperson, die die Familien über einen längeren Zeitraum hinweg begleitet und auch psychologisch unterstützt, auch um der Gefahr der Vereinsamung entgegenzuwirken. Speziell fordernd sei dabei die Pflege von Demenzkranken.
- Pflege- und Betreuungskräfte: Ihnen ist das Aus- und Weiterbildungsangebot besonders wichtig. Wobei sie festhalten: Die Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten seien durchaus positiv, die Stellung der Berufstätigen auf diesem Gebiet in der Öffentlichkeit spiegle jedoch nicht die Wertschätzung der Kompetenzen, die man sich erwarte. Die Beschäftigten empfinden ihren Beruf als sinnstiftend und erfüllend, wünschen sich aber mehr Ressourcen für Beziehungsarbeit und Kommunikation. Dafür müsse auch mehr finanzielle Mittel geben, die Zeiten für die interne Kommunikation müssten in die Arbeitszeit Eingang finden können. Ein brennendes Thema ist die Verschärfung der Arbeitsbedingungen durch den Personalmangel.
- Träger von Heimen und mobilen Dienstleistungen: Sie wünschen sich die Sicherung der Finanzierung bzw. des bestehenden breit gefächerten Angebotes, das auf den individuellen Bedarf abzustimmen sei. Bei Demenzkranken und bei der Betreuung von Kindern sei der tatsächliche Aufwand auch bei der Höhe des Pflegegeldes stärker zu berücksichtigen. Und man wünscht sich länderübergreifend einheitliche Richtlinien.
Claudia Gigler