Gernot Blümel geht über die Gudrunstraße. Am Donnerstag begeht die ÖVP ihren offiziellen Wahlkampfauftakt. Dafür wurde jedoch nicht die Stadthalle angemietet, die Auftaktveranstaltung findet heuer im Internet statt. Gestern postete Blümel auf Facebook einige Fotos vom Videodreh dafür, eines davon zeigt ihn eben auf einem Zebrastreifen in Favoriten. Hinter dem türkisen Spitzenkandidaten steht ein "Sammelbecken linksextremer Vereine", wie Blümel es nennt: das Ernst-Kirchweger-Haus, kurz, EKH.
Benannt ist das Ernst-Kirchweger-Haus nach dem ersten Todesopfer einer politischen Gewalttat in der Zweiten Republik. Der Kommunist und Widerstandskämpfer wurde 1965 bei einer Demonstration gegen den antisemitischen Historiker und Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz von einem Rechtsextremisten mit einem Faustschlag so schwer verletzt, dass Kirchweger zwei Tage später verstarb.
Das EKH ist der Wiener ÖVP schon seit Längerem ein Dorn im Auge. Vor mittlerweile fast 14 Jahren bezeichnete es der damalige Klubobmann der Favoritener ÖVP, Thomas Kohl, als "Fünf-Sterne-Hotel", das Autonomen zur Verfügung gestellt werde, "die die Normen unserer Konsumkultur ablehnen". Damals wurde gerade diskutiert, ob die Stadt das EKH kaufen und so seine Existenz sichern sollte. Einige Stimmen aus der ÖVP sprachen sich für eine Umsiedlung des EKH in die Triester Straße aus, etwa vier Kilometer weiter stadtauswärts. Auch die FPÖ forderte mehrmals die Schließung des Hauses oder zumindest einen Förderungs-Stopp.
Kulturzentrum und Projektionsfläche
Als Zentrum der autonomen Szene fungiert das EKH schon seit 1990, als das Haus im Besitz der KPÖ von Aktivisten und der kurdisch-türkischen ATIGF besetzt wurde. 2004 musste die KPÖ das Haus verkaufen. Nach etlichen Diskussionen um den neuen Besitzer, dem Kontakte zur rechtsextremen Szene vorgeworfen wurde, kaufte die Stadt schließlich das Haus, legte die Verwaltung in die Hände einer Tochtergesellschaft des Fonds Soziales Wien und stattete die darin ansässigen Vereine mit Nutzungsverträgen aus, darunter neben der ATIGF auch der linke „Verein für Gegenkultur“ oder der Dachverband der serbischen Kultur- und Sportvereine.
Seitdem existiert das EKH mal mehr, mal weniger ruhig vor sich hin. In den ruhigeren Zeiten ist es ein Kulturzentrum mit Konzerten, Lesungen, Diskussions- und Theaterabenden. In stürmischen Tagen ist es Projektionsfläche und Objekt intensiver Diskussionen. So auch diesen Sommer, als türkische Faschisten eine kurdische Demonstration und eben das EKH angriffen. Nach den daraus folgenden Unruhen und Ausschreitungen wurde Favoriten im Allgemeinen und das EKH im Speziellen zum Sinnbild einer vermeintlich gescheiterten rot-grünen Integrationspolitik. Und so zur eher unerwarteten Wahlkampfzentrale der ÖVP.
Peter Schöggl