Christoph Wiederkehr lässt auf sich warten. Erst eine halbe Stunde nach vereinbarter Uhrzeit springt er abgehetzt und verlegen aus dem pinken Wahlkampf-Auto und entschuldigt sich. Ein Termin „am Land“ habe deutlich länger gedauert als ursprünglich geplant. „Das passiert, wenn man diese Stadt verlässt“, sagt er und lacht.
Der Spitzenkandidat der Neos gilt als das unbekannteste Gesicht dieser Wahl. Ein Umstand, der ihm aber keine schlaflosen Nächte bereitet, versichert er am Weg zum Yppenplatz im 16. Bezirk, in dessen Nähe er wohnt. „Die Politik ist kein Bekanntheitswettbewerb.“ Dennoch sind die Bekanntheitsfußstapfen groß, in die er bei dieser Wahl tritt. Denn seine Vorgängerin in Wien war die heutige Parteichefin im Bund, Beate Meinl-Reisinger.
Die pinken Geschicke in der Bundeshauptstadt führt der 30-Jährige erst seit zwei Jahren. Für ihn jedoch ausreichend Zeit, um zu erkennen, was in dieser Stadt schiefläuft, sagt er. „Was ich in Wien besonders ungerecht finde, ist, dass noch immer zählt, wen man kennt, und nicht das, was man kann.“
Wiederkehr hat sich im Wahlkampf vor allem die Beseitigung von „roter Freunderlwirtschaft“ und Korruption auf die Fahnen geschrieben. „Ein indischer Standler am Brunnenmarkt hier um die Ecke hat mir einmal gesagt, dass die Freunderlwirtschaft in Wien schlimmer sei als die in Indien – das sollte der SPÖ schon zu denken geben.“ Gibt es also ein Kastensystem im Wiener Rathaus? Wiederkehr lacht: „Ja, manchmal kommt es mir schon so vor.“
"Die Rechten machen Probleme größer, die Linken ignorieren sie"
Der Yppenplatz, der an diesem sonnigen Nachmittag gut besucht ist, wird gern als Aushängeschild für ein gelungenes Zusammenleben verschiedener Kulturen in der Stadt präsentiert. Für Wiederkehr ist er jedoch auch ein Sinnbild dafür, wie wichtig die Europäische Union für Wien ist. Für die Neugestaltung des Platzes, „an dem noch vor ein paar Jahren niemand sein wollte“, habe die EU „viel Geld“ beigesteuert – „und das wissen hier sicher die wenigsten“.
Seine eigene Sicht auf das Thema Migration wurde maßgeblich von seiner Familiengeschichte geprägt, erzählt er. Sein Vater musste ohne Eltern aus Ungarn fliehen, „das bekommt man schon mit, in der Kindheit“, erklärt er. „Da bedeutet einem Freiheit und die europäische Idee gleich viel mehr.“ Doch aktuell sehe er hier einen Rückschritt in der öffentlichen Debatte – „weil es in diesem Land seit Jahren eine Politik gibt, die ausgrenzt und sogar rassistisch ist – allen voran durch die Freiheitlichen“.
Aber auch das andere Ende der Polit-Skala habe hier versagt. „Wir haben die Rechten, die bestehende Probleme größer machen, und wir haben die Linken, die bei Problemen wegschauen.“ Es brauche hier „eine lösungsorientierte Politik der Mitte“, sagt Wiederkehr und schaut einem vorbeilaufenden Kind nach.
"Die türkise ÖVP hat jede Menschlichkeit verloren"
Für den Gang in die Politik hat sich der gebürtige Salzburger, der seit zwölf Jahren in Wien lebt, bereits in seiner Schulzeit entschieden – „weil ich damals sehr unzufrieden mit dem System war und etwas verbessern wollte“. Bereits als Student engagierte er sich bei liberalen Vereinen, 2015 kandidierte er dann für die Neos und zog in den Wiener Gemeinderat ein. Heute gilt Wiederkehr in seiner Partei als fleißig und talentiert, aber auch als etwas steif und unnahbar. Er ist rhetorisch versiert, ein Talent, das er in Debattierklubs entdeckt und ausgebaut hat.
Nicht viel zu sagen hat er hingegen ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel, dem er für eine mögliche Koalition bereits eine Absage erteilt hat. Dessen Arbeit als Finanzminister sei alles andere als zufriedenstellend, „beim Budget hat er gezeigt, dass er nicht rechnen kann“. Zudem habe die türkise ÖVP „jede Menschlichkeit verloren“. Mit der SPÖ wäre eine Koalition hingegen denkbar – „wenn Ludwig sich traut“.