Und plötzlich war die Leopoldstadt grün. Nach neun SPÖ-Männern in Folge und einer jahrzehntelangen stabilen roten Mehrheit zog 2016 Ursula Lichtenegger ins Büro im Zweiten Stock des Amtshauses in der Karmelitergasse. Dafür war aber eine Entscheidung des VfGH notwendig. Bei der regulären Bezirksvertretungswahl 2015 war nämlich noch die SPÖ mit 16 Prozentpunkten Vorsprung die klare Wahlsiegerin. Es wurden aber 23 Stimmen mehr gezählt als Wahlkarten abgegeben wurden. Die Wahl wurde von der FPÖ angefochten, die nur 21 Stimmen hinter den Grünen auf Platz drei landete.

Die Wahlwiederholung brachte nur etwa die halbe Wahlbeteiligung und ein Erdbeben. Die Grünen riefen das Duell mit der FPÖ um Platz zwei aus, während viele rote Wähler*innen die Wahl entweder als "g‘mahte Wies‘n" betrachteten oder mit der verschobenen Bundespräsidentenwahl verwechselten und zuhause blieben. Das war nicht nur für die SPÖ ein Schock, auch Lichtenegger selbst war überrascht und hatte Startschwierigkeiten: "Ich musste erst die Strukturen des Magistrats kennen lernen, konnte aber gleich darauf verhindern, dass die G'stättn am Nordbahnhof vernichtet wird."

Lichteneggers Leuchtturmprojekt

Fast auf den Tag genau vier Jahre nach ihrem Wahlsieg stand Lichtenegger vergangenen Mittwoch gemeinsam mit Vizebürgermeisterin Birgit Hebein im Cafe Ansari vor den Kameras und präsentierte die Pläne für ihr Leuchtturmprojekt: die neue Praterstraße. "Klimaboulevard" soll sie werden, mit mehr Platz zum Verweilen, für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. Der Empfehlung der Machbarkeitsstudie folgend muss dafür nur eine und nicht zwei Autospuren weichen.

Für Lichtenegger gerade noch früh genug wurde das Konzept kurz vor der Wahl fertig: "Corona hat uns gestoppt. Die Schleifen zwischen Bezirk, Rathaus, Behörden und Magistratsdirektion haben sich enorm verlangsamt. Deshalb sind wir, als die Pläne dann fertig waren, sehr kurzfristig an die Öffentlichkeit gegangen." So kurzfristig, dass die Pläne noch alles andere fix sind. Es fehlen noch die genauen Kosten, daher fehlt die Finanzierung, daher können die nötigen Beschlüsse nicht gefasst werden.

"Ang'fressener" Gegenkandidat

Das macht Alexander Nikolai "ang'fressn", wie er sagt. Nikolai ist Spitzenkandidat der SPÖ im Bezirk und gewissermaßen Lichteneggers direkter Konkurrent um die Spitze in der Leopoldstadt: "Die Bezirksvorsteherin hat die gesamte Bezirksvertretung ausgehebelt. Seit Dezember gab es keine Informationen an die Fraktionen, nur um uns die Pläne drei Wochen vor der Wahl hinzuknallen, ohne dass die Finanzierung geklärt ist." Außerdem hätten die Pläne nichts mit dem zu tun, was die Leute wollen, so Nikolai.

Für Nikolai ist das ein Sinnbild für die gesamte Amtszeit Lichteneggers: "Bei vielen Projekten ist einfach nicht nachgedacht worden, und vieles, was wir abgesprochen haben, ist am Ende nicht passiert oder gleich in den Medien gewesen." Lichtenegger lässt die Kritik nicht gelten: „Die SPÖ hat das Beteiligungsverfahren mitgetragen. Alles was wir mit den Bürgern erarbeitet haben, findet sich im Konzept wieder.“ Ob es nun "die Leute" oder "die Bürger" sind. Beide Kandidaten sehen sie auf ihrer Seite. Wen sich die Mehrheit letztendlich als Bezirksvorsteher*in wünscht, werden wir am Tag nach der Wahl erfahren.