In Wien haben in der Vergangenheit viele Menschen SPÖ gewählt, weil die Stadt eigentlich gut funktioniert. Aktuell gibt es Tausende, die auf Corona-Tests oder Ergebnisse warten, das Contact Tracing ist verzögert, in den Schulen herrscht Verunsicherung. Entgleitet der Stadt die Situation?
ULLI SIMA Nein, weil die Linie immer von der Bundesregierung vorgegeben wurde. In Deutschland wurden bei allen Reiserückkehrern Tests an der Grenze gemacht. Nach Österreich konnte jeder einreisen. Jetzt zu sagen, dass Wien die Situation nicht im Griff hat, empfinde ich als unfair. Die meisten Menschen, die ich im Wahlkampf treffe, übrigens auch. Natürlich wünschen sie sich, dass es schneller geht. Aber sie sehen auch, dass es Limits gibt. In ganz Europa extrem nach oben gehen. Alle sind überrascht gewesen, dass es so früh passiert. Man hat damit gerechnet, dass der Anstieg gemeinsam mit der Grippewelle kommt.
Hat man das in Wien übersehen?
Nein, aber wir sind in diesen Dingen sehr stark vom Bund abhängig. Die Länder haben ganz wenig Spielraum. Wir haben beispielsweise wochenlang darauf gedrängt, dass endlich private Feiern in Clubs unterbunden werden. Eine Handhabe hatten wir aber nicht. Wien hat im eigenen Bereich sehr rasch reagiert, wir haben eine Teststraße beim Prater gemacht und ab morgen gibt es eine auf der Donauinsel. Für die Schulen gibt es Gurgeltests mit schnellen Ergebnissen, es werden Test-Busse an die Schulen kommen, um rasch Sicherheit zu schaffen.
Wer wird den Ärger über die Situation am 11. Oktober abbekommen?
Ich glaube, dass die Leute schon unterscheiden können zwischen der Stadt und der Bundesebene, wo es in den letzten Wochen ein Hü-Hott gegeben hat. Ich glaube nicht, dass sich der Ärger darüber bei der Wien-Wahl entladen wird. Wir haben im Lockdown viele Dinge richtig gemacht: Es gab - im Gegensatz zu anderen europäischen Metropolen - nie Probleme beim öffentlichen Verkehr, die Müllentsorgung und der Energiebereich haben wie am Schnürchen funktioniert. Das ist das, wo die Leute sagen werden: Danke, ihr habt das gut gemacht!
Sie sind seit 16 Jahren Stadträtin. Damals war Wolfgang Schüssel Bundeskanzler. Dann folgten drei SPÖ-Bundeskanzler, bis Sebastian Kurz gewählt wurde. Welchen Unterschied machte es für Wien, welche Partei den Bundeskanzler stellt?
Einen großen, weil eine gute Zusammenarbeit zwischen Bundesebene und Stadt für die Gesamtentwicklung entscheidend ist. Wir hängen etwa seit gefühlten vier Jahren mit der U-Bahn-Finanzierung. Wir kriegen für die zweite Ausbaustufe der U2/U5 keine Zusage vom Bund. In wenigen Monaten werden wir mit der ersten Ausbauphase beginnen, aber es ist natürlich wichtig, dass wir dann den zweiten Teil machen. Aber wir werden im Kreis geschickt.
Wäre es leichter, wenn die SPÖ in Wien nach der Wahl mit der ÖVP koaliert?
Nein, die ÖVP hat schon immer - selbst als sie mit der SPÖ gemeinsam regiert hat - Wien im Fadenkreuz gehabt. Mit der ÖVP von Sebastian Kurz halte ich es für sehr schwierig, eine Koalition in Wien zu machen. Die Wiener ÖVP war immer der Erfüllungsgehilfe der Bundes-ÖVP.
Auch die Neos möchten nach der Wahl gerne mit Ihnen koalieren. Geht sich das inhaltlich aus?
Das kann ich so nicht sagen, weil mir in vielen Bereichen nicht klar ist, wofür die Neos wirklich stehen. Grundsätzlich sind wir in Wien mit der rot-grünen Regierung gut gefahren.
Sie wünschen sich eine Neuauflage von Rot-Grün?
Wir hatten einen Koalitionspartner, mit dem wir Wien gut vorangebracht haben. Klar, dass sie für uns die erste Adresse sind. Aber es ist nichts in Stein gemeißelt.
Warum schafft es die SPÖ im Bund nicht, auch nur annähernd so stark zu sein, wie in Wien?
Die Wiener SPÖ ist sehr breit aufgestellt. Es war immer die Stärke der Partei, das sie viele Flügel abdeckt. Außerdem sind Menschen in urbanen Gebieten etwas weltoffener.
Was muss passieren, dass die SPÖ nicht dasselbe Schicksal erleidet, wie die SPD, die in Umfragen derzeit bei 16 Prozent liegt?
Es braucht Einigkeit nach außen. Zwischenrufe über die Medien zu unterlassen ist eine gute Idee.
Das heißt, Doskozil und Dornauer sollen sich zurückhalten?
Ich will jetzt keine Namen nennen, sonst reihe ich mich nur unter diejenigen, die über die Medien irgendjemandem was ausrichten. Einigkeit und Geschlossenheit sind aber auf jeden Fall wichtige Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein.
Veronika Dolna