Mit deftigen Worten wartete FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl zum Auftakt der parlamentarischen Debatte über das Corona-Gesetz auf. Die Koalition habe ihre „parlamentarischen Rollkommandos“ in Marsch gesetzt, sie habe eine „Spur der Verwüstung“ durchs Land gezogen und gefährde „unseren Wohlstand.“ Aus freiheitlicher Sicht sollte sich Österreich am schwedischen Weg orientieren. „Ich weiß nicht, was Sie gegen die Schweden haben. Bei der Greta sind auch alle einer Schwedin nachgelaufen.“
Die Aufregung über Corona sei eine künstliche. „Die Regierung versuche „mit einem Hammer eine Fliege zu erschlagen.“ Schwere Angriffe ritt Kickl auch gegen die SPÖ, die der Koalition im Bundesrat eine rasche Beschlussfassung ermöglicht. Die SPÖ habe die Interessen der Arbeitslosen verraten. „Ich weiß nicht, welchen Judaslohn sie erhalten haben.“ Dafür bekam der FPÖ-Klubobmann einen Ordnungsruf.
Anschober ätzt über "Primar Kickl"
Gesundheitsminister Rudolf Anschober nahm den Ball auf. Er wundere sich angesichts des weltweiten Gleichklangs bei den nationalen Maßnahmen über die Aussagen von "Primar Kickl." Alle Länder der Welt hätten nahezu idente Maßnahmen gesetzt (Abstand, Handdesinfektion, Maskenpflicht). Kickl hätte im März noch vehement einen Lockdwon gefordert, nun sei er zum "obersten Corona-Leugner der Republik" aufgestiegen. Österreich sei im weltweiten Vergleich besonders gut durch die Epidemie gekommen.
NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker blieb in der Wortwahl zurückhaltender als Kickl, die Botschaft war aber nicht weniger deutlich. Er sprach von einem "Gesetz fürs zusperren, absperren und wegschreiben." Keiner schreibe ein Gesetz, das Ausgangssperren
regle, wenn er nicht Ausgangssperren plane.
Besonders sauer stößt Loacker auf, dass Anschober zu viel Macht in die Hand gegeben werde - das jenem Ressortchef, der bewiesen habe, keine Verordnung auf die Reihe kriegen zu können. Ins Eck der Corona-Leugner wollte sich Loacker dann doch nicht schieben lassen. Covid-19 beschrieb er durchaus als Risiko, allerdings als eines, das zu einem gut bewältigbaren Risiko geworden sei.
Ganz so sieht das SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner offenbar nicht. Sie bedauerte, dass die Regierung den Sommer verschlafen habe. Mittlerweile gebe es viele Länder mit niedrigeren Infektionszahlen als Österreich. Es sei höchste Zeit zum Agieren zu kommen, forderte sie beispielsweise rasch einen Plan für den Wintertourismus.
Dass nun ein verfassungskonformes Gesetz beschlossen werden
könne, ist nach Meinung Rendi-Wagners der SPÖ zu verdanken. Sie
verwies auf die lange Begutachtung und Erfolge in den Nachverhandlungen der Sozialdemokraten mit der Koalition. In Richtung FPÖ und NEOS meinte sie, die SPÖ unterschiede sich von diesen darin, Verantwortung zu übernehmen und Parteitaktik und Wahlkampfgetöse zur Seite zu stellen.
Wie gefährlich die Pandemie ist, versuchte ÖVP-Mandatarin Gaby Schwarz zu erläutern, indem sie auf einen ihr bekannten 32-jährigen Sportler verwies, der der Krankheit erlegen sei. Auch ihren Klubkollegen Martin Engelberg, der heute wieder in den Nationalrat zurückgekehrt ist, habe es schwer erwischt gehabt.
Daher gehe es der ÖVP um die Gesundheit der Österreicher. Denn auch Wirtschaft gehe nicht ohne Gesundheit: "Wir sind keine Blockwarte, uns geht es um die Gesundheit." 30 Millionen Infizierte weltweit zeigten, dass eine Wortwahl wie jene Kickls verzichtbar sei.
SPÖ verschafft Türkis-Grün Mehrheit im Bundesrat
In den Nachmittagsstunden wird der Nationalrat die umstrittenen Novellen von Epidemie- und Covid-Gesetz beschließen, die Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ein erweitertes Arsenal im Kampf gegen das Coronavirus geben sollen. Danach wird der Bundesrat die Novelle abnicken - und am Tag, nachdem der Bundespräsident die neuen Regelungen unterzeichnet, der Kanzler sie kundgemacht hat, stehen sie zur Anwendung bereit.
Theoretisch könnten Anschober oder einzelne Landeshauptleute damit schon kommende Woche wieder einen Mindestabstand zwischen Menschen im öffentlichen Raum verordnen oder sogar Ausgangsbeschränkungen verhängen. Möglich ist das, weil die SPÖ nach einem längeren Begutachtungsverfahren entschieden hat, die Vorschläge zu unterstützen. Die Opposition hat zwar im Nationalrat keine Mehrheit - im Bundesrat hätten SPÖ und FPÖ (sie lehnt das neue Gesetz vehement ab) das Gesetz aber zurückwerfen und mehrere Wochen verzögern können.
SPÖ-Vizeklubobmann Jörg Leichtfried verzeichnet als Erfolg, dass Anschober zahlreiche Punkte in dem Gesetz während der Begutachtung abgeändert hat: "Wir haben erreicht, dass ein neues Gesetz vorgelegt wurde und wir haben erreicht, dass dieses neue Gesetz auch begutachtet wurde", so Leichtfried. Unter anderem schreibt er sich auf die Fahnen, dass der Hauptausschuss des Nationalrats beim Verhängen großflächiger Einschränkungen eingebunden werden muss - und dass er zeitlich beschränkt ist.
"Die Erarbeitung war und ist gekennzeichnet von einem großen, verantwortungsvollen Ringen um eine gute Balance zwischen Grundrechten und Gesundheitsschutz", sagt Anschober zu dem Erfolg. Die restliche Opposition zeigt sich nicht überzeugt: Die Neos kritisieren vor allem, dass die Regierung die bis Mitte nächsten Jahres angesetze Geltung des Gesetzes einseitig bis Ende 2021 verlängern kann; die FPÖ wähnt sich überhaupt schon im Corona-Faschismus und spricht der gesamten Regierung das Misstrauen aus.
Die neuen Regeln im Überblick:
1. Ausgangssperren und Betretungsverbote: Die Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr („es gibt nur drei Gründe...“) hatten bekanntlich keine gesetzliche Grundlage. Die soll jetzt nachgeliefert werden. In Abstimmung mit dem Hauptausschuss des Nationalrats – dass er involviert ist, war ein erstes Zugeständnis der Regierung – könnte Anschober danach verfügen, dass das Betreten und Befahren von bzw. das Verweilen an bestimmten Orten verboten oder eingeschränkt wird. Ausgenommen ist jedenfalls immer der private Wohnbereich, die fünf Ausnahmefälle Notfall, Hilfeleistung, Deckung von Grundbedürfnissen (Einkauf), Arbeit und Erholungsausgang sind festgeschrieben.
2. Rückkehr des Babyelefanten: Anschober muss das Betreten aller öffentlicher Orte – oder bestimmter Orte (wie etwa einzelner Geschäfte) aber nicht gleich ganz verbieten, sondern kann es auch an Auflagen knüpfen. Zum Beispiel daran, einen bestimmten Abstand einzuhalten.
3. Ampel im Gesetz: Die Corona-Ampel und die Kommission, die sie schaltet, bekommt eine gesetzliche Grundlage – bisher operiert sie ja nur als informelles Organ. In Zukunft muss der Gesundheitsminister sie anhören, bevor er Maßnahmen nach dem Covid-Gesetz verordnet.
4. Versachlichung: Weil der Verfassungsgerichtshof eingefordert hat, allen Pandemie-Maßnahmen müsste eine sachliche Argumentation zugrunde liegen, steht nun im Gesetz, welche Kriterien zur Beurteilung der epidemiologischen Situation herangezogen werden müssen: die Clusteranalyse, Auslastung der Krankenhäuser, der Anteil der positiven an allen Tests sowie regionale Besonderheiten wie Tourismus- und Pendlerströme.
5. Zuständigkeiten: Die Gesundheitsbehörden in Österreich sind nach der komplexen mittelbaren Bundesverwaltung in byzantinischen Weisungsketten miteinander verbunden. Nun soll eine neue „Kaskadenregelung“ die Verantwortung im Epidemiefall klarstellen. Bundesweite Verordnungen soll künftig der Gesundheitsminister, landesweite die Landeshauptleute und bezirksweite die Bezirkshauptmannschaften bzw. Magistrate zu erlassen haben.
6. Gerichte werden entlastet: Bisher muss jede Quarantäne dem zuständigen Bezirksgericht gemeldet werden (prüfen muss es ohnehin erst ab einer Dauer von drei Monaten). In Zukunft sollen es nur noch solche sein, die länger als zehn Tage dauern – also die überwiegende Mehrzahl der Corona-Quarantänen nicht mehr.
7. Schul-Screenings: Der Bildungsminister (im Moment also Heinz Faßmann, ÖVP), soll künftig Corona-Screeningprogramme an Schulen anordnen und Schulärzte oder Labors mit deren Umsetzung beauftragen können. So sollen Schul-Cluster verhindert werden.
8. Strafen und Kontrollen: Polizisten und andere Organe des Sicherheitsdienstes dürfen in Zukunft auch Anhaltungen durchführen, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen. Bei Verstößen drohen Strafen bis zu 1450 Euro bzw. 30.000 Euro für Unternehmer, die gegen Auflagen verstoßen. Von Kontrollen explizit ausgenommen ist der private Wohnbereich. Für Aufregung sorgte zuletzt eine Norm, die den Behörden weitgehende Durchsuchungsrechte einräumte – sie soll in der finalen Version des Gesetzes bereinigt werden.
9. Veranstaltungen mit „größeren Menschenmengen“ bekommen ebenfalls leicht abgeänderte Regeln: diese sind entweder unter Einhaltung bestimmter Auflagen zu bewilligen oder zu untersagen. Unter anderem müssen die Veranstalter dabei ein „Präventionskonzept“ zur Minimierung des Infektionsrisikos vorlegen. Eine in einem früheren Entwurf geplante Pflicht von Gastro-Unternehmen, freiwillig auszufüllende Gästelisten aufzulegen, wurde verworfen.