Der Verbraucherschutzverein (VSV) hat am Dienstag erste Amtshaftungsklagen von Ski-Touristen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz gegen die Republik Österreich und das Land Tirol eingebracht. Touristen haben sich beim Ski-Urlaub in Tirol - insbesondere in Ischgl - mit Covid-19 infiziert und das Virus in die ganze Welt getragen. Details zu den Musterklagen wegen Schadenersatz für Covid-Opfer gab der VSV bei einer Pressekonferenz in Wien bekannt.
Obmann Kolba erklärte, man habe vier Musterprozesse eingebracht. Es gehe dabei um Einzelpersonen, die die Republik Österreich um Amtshaftung und Schadenersatz klagen. Die Klage wurde beim Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen anhängig. Kolba kritisiert, dass Geschädigten Akteneinsicht verweigert worden sei. Die eingebrachten vier Klagen seien nur die ersten. Weitere seien geplant. Ein Prozessinvestor sei nötig, denn die Mehrzahl der Geschädigten hat keine Rechtsschutzversicherung.
Zu den vier Musterklagen im Detail: In einem Fall verlangen die Hinterbliebenen eines österreichischen Journalisten 100.000 Euro Schadenersatz. Der Mann dürfte sich nach einem Ski-Ausflug nach Ischgl - ohne Besuch von Apres Ski-Bars - bei der chaotischen Abreise im Bus infiziert haben. Er starb nach mehreren Wochen auf der Intensivstation. Ebenfalls 100.000 Euro Schadenersatz verlangt ein deutscher Ski-Tourist, der nach dem Aufenthalt in Ischgl lange Zeit mit Lungenentzündung auf der Intensivstation lag und mit Folgeschäden rechnen muss.
Rund 12.000 Euro begehrt ein Handelsvertreter für Ski-Mode, der am 12. März nur seine Geschäftspartner im Paznauntal besucht hat, in keiner Gondel war, keine Apres Ski-Bar besucht hat und ohne zu übernachten wieder heim nach Deutschland gefahren ist. Dessen ungeachtet erkrankte er in weiterer Folge schwer an Covid-19. Die vierte Klage betrifft ebenfalls einen deutschen Staatsbürger, der schwer erkrankt war. Er macht 45.000 Euro Schmerzengeld sowie ein Feststellungsbegehren geltend. "Der Betroffene war in Lebensgefahr und bis Mai in einer Reha", referierte Anwalt Alexander Klauser. Dafür verlangt der Mann eine zusätzliche Kostenabgeltung in Höhe von 30.000 Euro.
Um bei Gericht rasche Erfolge erzielen zu können, habe man sich vorerst auf vier Musterfälle beschränkt, erläuterte Anwalt Klauser in der Pressekonferenz. In einem Fall handele es sich um die Hinterbliebenen eines Erkrankten, der in seiner Heimat verstorben sein. Zwei Fälle sind so schwer erkrankt, dass sie heute noch in Behandlung seien und wahrscheinlich mit Dauerfolgen zu kämpfen haben werden. Ziel der Klage sei es Schadenersatz, in einigen Fällen auch Verdienstentgang, Therapie- und Transportkosten zu erkämpfen.
Mehr als 6.000 Tirol-Urlauber hätten sich bereits beim Verbraucherschutzverein als Geschädigte gemeldet. Viele davon stammen aus Deutschland, aber auch aus anderen Ländern. Über 1000 haben den VSV bevollmächtigt. Es wird auch eine Sammelklage organisiert. 80 Prozent der über 1.000 vom VSV vertretenen Personen hatten sich in Ischgl aufgehalten.
Appell an den Bundeskanzler
Um den Betroffenen langwierige Gerichtsverfahren zu ersparen, appelliert der Verbraucherschutzverein (VSV) an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), eine zeitnahe Aufarbeitung der Problematik und vor allem eine raschere Lösung zu ermöglichen. "Man möchte nicht zehn Jahre lang aufarbeiten", stellte VSV-Obmann Peter Kolba klar.
Statt langwierige Amtshaftungsverfahren gegen die Republik für - so der Vorwurf seitens der Verbraucherschutzorganisation - schuldhaftes Behördenversagen zu verfolgen, sollte Kurz einen "Runden Tisch" mit den zuständigen Ministern, der Tiroler Landesregierung und den Gemeinden einberufen. Der VSV unterstellt den lokalen Behörden in Tirol und den verantwortlichen Politikern auf Bundesebene schwere Fehler beim Pandemie-Management in den Tiroler Skigebieten in den Monaten Februar und März 2020.
In einem offenen Brief wird Kurz ersucht, "diese Sache in die Hand zu nehmen". Wörtlich heißt es: "Es wäre für den Ruf von Österreich als Tourismusland in der Welt und für Tirol ebenso hilfreich wie für die vielen Geschädigten, die auf ein Einbekenntnis der Fehler, eine Entschuldigung und Schadenersatz warten."
Vorwürfe an Behörden
Journalist Sebastian Reinfeld berichtet außerdem über die Vorwürfe an die Behörden. Die Hotels in Ischgl hätten weiterhin offen gehabt, obwohl sie bereits von Infektionen wussten.
Man habe Bars zu spät geschlossen und auch das Ausreisemanagement sei nicht organisiert gewesen. Das habe alles zu der raschen Verbreitung des Virus in Europa gesorgt. Reinfeld spricht über Dilettantismus der Beteiligten.
Obmann Kolba erhebt zudem schwere Vorwürfe gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Beim Ausreisemanagement sei Kurz derjenige, der das Chaos herbeigeführt habe. Er habe Maßnahmen bereits verkündet, obwohl sie rechtlich noch nicht Kraft waren. Kurz habe durch die Ankündigung eine "unmögliche Situation" für die Polizisten vor Ort geschaffen. Der VSV will deshalb in Wien die Bundesrepublik klagen.
Laut Kolba stehe man an einem Scheidepunkt. Weitere Musterprozesse seien geplant. Der bessere Weg sei ein runder Tisch, um "dort Fehler zuzugeben, sich dort klar und ohne Wenn und Aber zu entschuldigen" und den Geschädigten Schadenersatz anzubieten.
Kolbas Darstellung zufolge hätten die Verantwortlichen zu spät und nicht umfassend genug auf den Ausbruch des Coronavirus in Ischgl reagiert. Vom Tiroler Wintersportort wurde das Corona-Virus in 45 Staaten getragen.
VSV hat "kein Vertrauen" in Innsbrucker Anklagebehörde
Ich habe kein Vertrauen, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck effizient und ernstlich daran arbeitet, die Verantwortlichen für die schweren Fehler bei der Bekämpfung der Pandemie ausfindig zu machen und anzuklagen," stellte VSV-Obmann Peter Kolba im Rahmen der Pressekonferenz fest. Man konzentriere sich daher nunmehr darauf, "in Musterprozessen in Wien - und damit abseits von Tiroler Netzwerken - die Verantwortung festzumachen und Schadenersatz für Opfer durchzusetzen".
Die vier Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich begründet der Verbraucherschutzverband (VSV) mit behauptetem Behördenversagen im Zusammenhang mit den Maßnahmen gegen den Ausbruch der Corona-Pandemie in Ischgl und anderen Tiroler Wintersportorten. Das Versagen von Organen war nach Ansicht des VSV schuldhaft und - da es Organträgern unterlief - dem Staat zurechenbar. Die Finanzprokuratur als Rechtsvertreter des Bundes habe das "Angebot für Gespräche ignoriert", daher habe man die Stellungnahme der Finanzprokuratur zu den vier auf Schadenersatz gerichteten Klagen nicht abgewartet, sondern diese gleich bei Gericht eingebracht erläuterte der VSV.
Maria Schaunitzer