Auf den ersten Blick war die Corona-Ampel ein geniales Konstrukt. Um zu vermeiden, dass beim Aufpoppen von lokalen Clustern ganz Österreich unter einen Glassturz gestellt wird, sollte ein regional differenziertes Vorgehen ermöglicht werden. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) war der erste Politiker, der das gefordert hat. Darüber hinaus sollte die Umfärbung eines Bezirks nicht nur auf Basis der Infektionszahlen erfolgen, auch sollte berücksichtigt werden, ob die Fälle abgrenzbar sind (Clusterbildung), der Anstieg dem vermehrten Testen geschuldet ist, sich Spitäler wieder füllen.
Begräbnis erster Klasse
Eine breite Allianz von Politikern hat der Ampel ein Begräbnis erster Klasse beschert. Im Laufe der Woche wurde die Hälfte der Städte und Bezirke umgefärbt, keine einzige Verschärfung zog Konsequenzen nach sich. Dass am Donnerstag eine Stunde vor Sitzungsbeginn der Corona-Kommission das „virologische Quartett“ ein neues Maßnahmen-Bündel verkündet hat, ist eine beispiellose Desavouierung.
Kanzler war Ampel immer schon suspekt
Dass eine Kommission, die bei Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) angesiedelt und dem Einfluss des Kanzlers entzogen ist, die Corona-Maßnahmen bestimmt, war Sebastian Kurz (ÖVP) von der ersten Minute an suspekt. Er ließ nie ein gutes Haar an der Ampel, das Kanzleramt hat nur eine von 19 Stimmen im Gremium. Auch die von Ampelschaltungen betroffenen Politiker opponierten. Wegen der Gelb-Schaltung von Linz forderte Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ), dass die Ampel „aus dem Verkehr gezogen“ wird. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) witterte eine „politische Färbung.“ Symptomatisch ein VP-Landeshauptmann: „Von Stigmatisierungen halte ich nichts.“
Keine gesetzliche Grundlage
Auch Anschober trug sein Scherflein zum Ampel-Desaster bei. Die Idee, dass die Corona-Kommission nicht nur Bezirke umfärbt, sondern auch sinnvolle, regional begrenzte Maßnahmen verordnet, war mangels gesetzlicher Grundlage nie möglich. So hatten Kurz & Co. leichtes Spiel, um den Experten das Heft aus der Hand zu nehmen.
Partyszene und Promi-Aufmarsch
Dass der jüngste Anstieg der Infektionen nur der mangelnden Eigenverantwortung der Bürger geschuldet ist, greift zu kurz. Die Abschaffung der Maskenpflicht vor dem Sommer suggerierte eine falsche Normalität und förderte eine Sorglosigkeit, die nicht nur auf die Partyszene am Donaukanal zu reduzieren ist. „Als ich gesehen habe, wie eng alle beieinander standen, habe ich kehrt gemacht“, erzählt ein Spitzenpolitiker, der zum Empfang von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in Grafenegg geladen war. Wegen eines Corona-Falls mussten sich später alle Promis testen lassen.
Überlange Wartezeiten bei 1450
"Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“, dramatisierte Kurz einst die Lage. In der Zwischenzeit kennt im Großraum Wien fast jeder jemanden, der von überlangen Wartezeiten bei 1450, einer Zweiklassengesellschaft bei den Tests, verwirrendem Contact-Tracing, einer chaotischen Informationspolitik der Behörden zu berichten weiß. Weil schnell in einer Schule mit 400 und mehr Kindern ein Verdachtsfall auftritt, es den Behörden aber nicht gelingt, innerhalb von 48 Stunden Klarheit zu schaffen und so Lehrer, Eltern, Schüler in Unruhe versetzt werden, fürchtet eine Wiener AHS-Direktorin „einen permanenten Ausnahmezustand“ im Herbst.
Sommerliche Versäumnisse
Dass im Frühjahr die Gesundheitsbehörden, allen voran das Ministerium, komplett überfordert waren, ist nachvollziehbar. In den Ballungszentren hat man es verabsäumt, sich im Sommer auf einen heißen Herbst, der von allen Epidemiologen vorhergesagt worden war, vorzubereiten. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der in drei Wochen Wahlen zu schlagen hat, will die Gesundheitsbehörden plötzlich um 1000 Personen aufstocken.
Nicht überall steigen die Zahlen
Noch ist die Situation nicht besorgnisrerregend. Anders als im Frühjahr können die Mediziner, die Behörden das Virus viel besser einschätzen. Nicht in ganz Europa steigen die Zahl, in Deutschland oder Italien stagniert - glücklicherweise - Corona. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Österreich seine bisherige Vorreiterrolle in Europa eingebüßt hat.