Hat die „zweite Welle“ des Coronavirus Österreich bereits erfasst? Sogar in der türkis-grünen Bundesregierung scheint das nicht so klar zu sein: Für Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist sie jedenfalls schon da: „Was wir gerade erleben, ist der Beginn der zweiten Welle. Die Ansteckungszahlen nehmen von Tag zu Tag zu“, sagt der Kanzler am Sonntag. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) dagegen glaubt, es sei noch zu verhindern, „dass Österreich in eine echte zweite Welle kippt“.
Wo sich die Regierung aber einig ist, sind die Konsequenzen aus den massiv steigenden Infektionszahlen: Zum einen treten am Montag die zuletzt verschärften bundesweite Maßnahmen in Kraft: Die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) zu tragen, gilt ab sofort wieder in sämtlichen Geschäften und Dienstleistungsbetrieben mit Kundenkontakt sowie in allen Ämtern. In Lokalen darf nur noch im Sitzen getrunken und gegessen werden, für Veranstaltungen ohne fix zugewiesene Sitzplätze gilt ein Limit von maximal 50 Teilnehmern indoor bzw. 100 Teilnehmern draußen. Größere Veranstaltungen mit fixen Plätzen werden auf 1500 bzw. 3000 Personen beschränkt.
Home Office empfohlen, "Eigenverantwortung"
Dabei dürfte es nicht bleiben. Bereits am Sonntag haben die Regierung und die Sozialpartner – Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Wirtschaftskammer – bei einem gemeinsamen Gespräch im Bundeskanzleramt weitergehende Schritte empfohlen – wenn auch vorerst nur im Rahmen der „Eigenverantwortung“. „Wo es beiden Seiten zumutbar ist“, sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter wieder aus dem Home Office arbeiten lassen, sagt Vizekanzler und Beamtenminister Werner Kogler (Grüne) – er werde für den Bund in den nächsten Tagen koordinieren, hier mit gutem Beispiel voranzugehen.
Für Unternehmen, wo Arbeit aus der Ferne nicht möglich ist, ersucht die Regierung die Unternehmen, Hygiene- und Abstandskonzepte zu erstellen und umzusetzen. Kurz streut den Betrieben Rosen – das habe vor dem Sommer überwiegend gut funktioniert.
Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter unterstützen diese Vorschläge und auch die stärkere Rücksicht im privaten Bereich – „wer sich und andere schützt, schützt auch Wirtschaft und Arbeitsplätze“, so das geflügelte Wort bei dem Gipfel. Arbeiterkammer und Gewerkschaft drängen aber auf die Umsetzung von Hilfspaketen für den Arbeitsmarkt und klareren gesetzlichen Bestimmungen für Home Office.
"Après-Ski in der bisherigen Form wird es nicht geben"
Weitere Maßnahmen sind zumindest in einem weiteren Bereich angedacht. Im Wintertourismus sollen Mund-Nasen-Schutz und Mindestabstand Gäste und Touristiker durch die Saison begleiten, Après-Ski in der bisherigen Form wird es nicht geben, kündigte Anschober in der „Pressestunde“ an.
Die Opposition kritisiert die Regierung am Sonntag geschlossen, weil diese sprunghaft und planlos agiere: „Anschober habe „nichts im Griff“, kritisiert die freiheitliche Abgeordnete Dagmar Belakowitsch: „Es scheint, als blicke die Regierung lediglich wie das Kaninchen vor der Schlange auf die täglichen Neuinfektionszahlen“. Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker kritisiert, der Minister habe das „Dickicht im Ampel-Chaos nicht lichten“ können.
Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sieht die Regierung in der Verantwortung: Sie habe „den Vorsprung, den wir noch im April hatten, längst verspielt“, Vorbereitungen auf Schulanfang und die Tourismus-Saison seien ausgeblieben.
Georg Renner