Der Ex-Freund von S. lässt ihr keine Ruhe: Immer wieder erstellt er auf Instagram gefälschte Profile von ihr, schreibt unter ihrem Namen fremde Männer an, gibt ihnen ihre Telefonnummer weiter. Auch wenn die Plattform aus dem Facebook-Konzern diese Fake-Profile löscht, erstellt der Ex-Freund immer wieder neue.
P. beschäftigt in ihrem Geschäft mehrere Menschen mit Behinderung. Auf Google bekommt sie deswegen immer wieder schlechte Bewertungen, versehen mit abwertenden Kommentaren. Wenn sie diese meldet, passiert: nichts.
„Hass im Netz“, wie das politische Schlagwort lautet, wenn es um solche unangenehmen Seiten des digitalen Netzes geht, hat viele Gesichter. Es sind Fälle wie die eingangs genannten, gesammelt über die App „Ban Hate“ der Antidiskriminierungsstelle Steiermark, die durch das Gesetzespaket gelöst werden könnten, das die türkis-grüne Koalition am Donnerstag präsentiert hat.
Gleich drei Ministerinnen – Karoline Edtstadler (Verfassung) und Susanne Raab (Frauen) von der ÖVP, Alma Zadic (Justiz) von den Grünen – waren gemeinsam mit der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer im Justizministerium angetreten, um das Ergebnis von monatelangen Verhandlungen herzuzeigen, das nun in Begutachtung geht und mit Anfang 2021 in Kraft treten soll.
Eilverfahren soll Prozesse beschleunigen
Kernstück der Reform ist ein neues zivilrechtliches Eilverfahren, das „Mandatsverfahren“: Wird jemand im Netz von Hasspostern belästigt – egal ob öffentlich oder per Privatnachricht –, soll er in Zukunft über ein Online-Formular schnell einige Screenshots hochladen können. Ein Bezirksrichter sichtet den Fall dann, und wenn er aus den Angaben „die behauptete Rechtsverletzung schlüssig ableiten“ kann, schickt er dem Urheber eine Unterlassungserklärung sowie eine Gebührennote von pauschal 107 Euro. Löscht der Poster seine Botschaft dann und bezahlt, ist das Verfahren damit erledigt; nur wenn er Einwände erhebt, kommt es zu einem „vollen“ Zivilverfahren.
Solche Schnellverfahren, wenn die Sachlage im Wesentlichen klar ist, gibt es schon in anderen Rechtsgebieten – etwa das zivilrechtliche Mahnverfahren bei Geldschulden, die Diversion im Strafrecht oder das Organmandat für Falschparker.
Große Plattformen müssen legale Wege anbieten
Auf völlig neues Territorium wagt sich die Koalition mit den anderen Teilen des Gesetzespakets vor: Große Plattformen (das heißt solche mit mehr als 100.000 registrierten Usern oder mehr als 500.000 Euro Jahresumsatz) werden ab kommendem Jahr verpflichtet, Usern effektive und transparente Wege gegen rechtswidrige Inhalte zu bieten. Offenkundig rechtswidrige Posts müssen binnen 24 Stunden, weniger deutliche spätestens nach sieben Tagen gelöscht werden.
Außerdem müssen Plattformen – das Gesetz zielt offenkundig auf Social Media wie Facebook, WhatsApp, Twitter oder Instagram; klassische Medien, Wikipedia und Verkaufsplattformen sind ausgenommen – der Republik in Zukunft regelmäßig berichten: Wie viele Anträge auf Löschung von Posts sie bearbeiten, welche Mitarbeiter darüber entscheiden, wie diese ausgebildet werden und wie viel tatsächlich gelöscht wird. Jede Plattform braucht darüber hinaus einen jederzeit erreichbaren Ansprechpartner.
Hält sich eine Plattform nicht an diese Vorschriften oder beschweren sich Nutzer darüber, dass rechtswidrige Posts nicht gelöscht werden, kann die Medienbehörde KommAustria Strafen bis zu zehn Millionen Euro verhängen – und diese auch eintreiben, indem sie etwa Werbeeinnahmen aus Österreich „absaugt“.
Netz "kein rechtsfreier Raum"
Die Koalition will mit dem Paket klarstellen, „dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, auch hier gilt der Rechtsstaat“, so Zadic. Raab sieht einen Meilenstein für Frauen, die überproportional von Hass im Netz betroffen sind, Edtstadler spricht von „neuen Wegen“, die Österreich als erster kleiner EU-Staat gehen würde. Bisher haben nur Deutschland und Frankreich Schritte unternommen, Facebook und andere Plattformen zur Verantwortung zu ziehen.
FPÖ kritisiert Gesetz wegen "Meinungsfreiheit"
Die FPÖ sorgt sich angesichts des Pakets um die Meinungsfreiheit im Netz, die SPÖ kritisiert, dass die Verantwortung zur Löschung beanstandeter Inhalte letztlich wieder bei großen Online-Konzernen liege. Die Neos begrüßen das Gesetz grundsätzlich, vermissen aber die Zielgenauigkeit. Das Paket liegt auf der Parlamentshomepage für jedermann zur Stellungnahme auf.
Georg Renner