Eine chaotische Flüchtlingskrise wie 2015 könnte sich auch heute wiederholen - davon ist der damalige burgenländische Polizeichef und heutige Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) überzeugt. Die Politik habe "bis heute keine Lösung präsentiert", kritisierte er im APA-Interview. Doskozil fordert Verfahrenszentren außerhalb Europas, sodass nur noch Asylberechtigte nach Europa kommen können.
"Wie müssen sich die letzten Minuten und Sekunden für diese Menschen abgespielt haben" - dieser Gedanke lässt Doskozil nicht los. Am 27. August 2015 wurden in einem Kühl-Lkw, abgestellt in einer Pannenbucht der A4 im Burgenland, 71 tote Flüchtlinge gefunden, darunter vier Kinder. Sie waren in dem luftdicht abgeschlossenen Laderaum am Vortag auf ungarischem Staatsgebiet erstickt. Doskozil war zu dieser Zeit Polizeichef im Burgenland, mit dem Drama stand er plötzlich im medialen Rampenlicht.
"Glück, dass nichts eskaliert ist"
Ein paar Tage später drängten dann tausende in Ungarn gestrandete Flüchtlinge über den Grenzübergang Nickelsdorf nach Österreich. Diese Wochen seien eine "stetige Herausforderung" gewesen, "Ruhe zu bewahren und keine Panik entstehen zu lassen", erinnert sich Doskozil. Das sei eine "hervorragende Teamleistung" gewesen. "Aber eigentlich", meint Doskozil, "haben wir Glück gehabt, dass nichts eskaliert ist".
Denn Vorkehrungen hatte die Politik keine getroffen: Die europäischen Staaten hätten sich nicht abgestimmt oder koordiniert, kritisiert Doskozil. Das zeige sich auch jetzt in der Corona-Krise wieder. Ungarn habe damals schlicht nicht kommuniziert und die Flüchtlinge einfach Richtung österreichische Grenze geschickt. "Das zeigt ein Bild von Europa, das sich reduziert auf die Interessen der Nationalstaaten, und das hat sich bis heute nicht geändert", glaubt Doskozil. Die Politik habe in der Flüchtlingsfrage "nicht reagiert und bis heute keine Lösung präsentiert".
Vom Polizeichef zum Landeshauptmann
Für seine eigene Karriere war die Flüchtlingskrise jedenfalls entscheidend: Als Polizeichef erwarb sich Doskozil in diesen Wochen den Ruf als ruhiger Krisenmanager, sodass ihn Kanzler Werner Faymann (SPÖ) im Jänner 2016 als Verteidigungsminister nach Wien holte. Mit seinem Zugang zur Flüchtlingspolitik macht sich Doskozil im linken Flügel der SPÖ bis heute nicht unbedingt Freunde. Hätte er sich, wäre er 2015 schon Politiker gewesen, wie so viele andere Politiker zum Wiener Westbahnhof begeben, dem damaligen Sinnbild der Willkommenskultur? "Ich glaube nicht, muss ich ganz ehrlich sagen."
Tatsächlich vertritt Doskozil in der Migrationsfrage einen recht "harten Ansatz", wie er selbst sagt: Ob jemand Asyl bekomme oder nicht, müsse außerhalb Europas geklärt werden, fordert der Landeshauptmann. Derartige Verfahrenszentren außerhalb Europas wären der Schlüssel, meint Doskozil, nur noch positive Asylfälle würden nach Europa kommen können. Dann könne man auch die Verteilung klären.
Gegen Aufnahme von Kindern aus griechischen Lagern
Die Bundesregierung macht Doskozils Ansicht nach jedenfalls zu wenig. Man müsse die Migrationspolitik auf europäischer Ebene vorantreiben, aber "das passiert alles nicht", kritisiert Doskozil. Lediglich über Dinge wie die Unterstützung Griechenlands beim Außengrenzschutz zu diskutieren, seien "Worthülsen".
In der ZiB2 am Sonntagabend spricht sich Doskozil gegen die Aufnahme von Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern aus: "Natürlich ist Humanität wichtig, aber genau so wichtig sind die Lehren aus 2015, dass der Faktor Rechtsstaatlichkeit genauso wichtig sei." Die Bundesregierung müsste dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Damit stellt sich Doskozil gegen die Meinung der SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.
"Zum Genieren"
Auch Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner findet die Weigerung der jetzigen Regierung, auch nur einen einzigen minderjährigen Flüchtling aus den griechischen Lagern aufzunehmen, "international zum Genieren", wie er gegenüber dem "Standard" erklärte. Es sei eine Folge des politischen Rechtsrucks in der ÖVP als Folge der Flüchtlingskrise - eines Rechtsrucks, den man bis heute spüre.
Der heutige Kanzler Sebastian Kurz sei damals immer mit am Tisch gesessen, habe jedoch als einziger frühzeitig erkannt, wie viel politisches Kapital sich aus dem Thema ziehen lasse. Nach außen hin habe er die FPÖ-Rhetorik übernommen und so getan als wäre er ein Außenstehender. "Die Strategie ging auf", so Mitterlehner. Er glaubt, ohne diese Krise wäre die Koalition damals nicht vorzeitig geplatzt.