Herr Bundeskanzler, Sie sagen, aus heutiger Sicht sei „sehr wahrscheinlich, dass wir nächsten Sommer zu unserer gewohnten Normalität zurückkehren werden können“. Lehnen Sie sich da nicht sehr weit hinaus?

Sebastian Kurz: Mein Team und ich haben den Sommer für Gespräche mit Gesundheitsexperten, Pharmaunternehmen und Politikern genutzt. Da zeichnet sich ein klares Bild ab: Erstens, dass der Fortschritt bei der Suche nach einem Impfstoff wesentlich schneller voranschreitet als erwartet. Aber dass uns, zweitens, bis dahin ein sehr herausfordernder Herbst und Winter bevorsteht, in dem es sehr schnell dazukommen kann, dass sich die Situation zuspitzt.

Wir haben nach Ihrer Erklärung mit Experten telefoniert – da sagen etliche, sie wären da nicht so optimistisch. Glauben Sie wirklich, Österreich hat bis Mitte nächsten Jahres schon so viel fertigen Impfstoff, dass wir ein normales Leben führen können?

Natürlich ist es notwendig, dass ein Impfstoff, sobald es ihn gibt, in Massen produziert und großflächig verbreitet wird. Die Vorbereitungsarbeiten dazu laufen in mehreren Pharmakonzernen. Eine absolute Sicherheit gibt es nie, aber es gibt Licht am Ende des Tunnels.

Apropos optimistische Ankündigungen: Im Frühjahr hat Ihre Koalition Gesetzesentwürfe für den „Gläsernen Staat“ und gegen Hass im Netz für „vor dem Sommer“ angekündigt. Jetzt starten Sie den politischen Herbst, die Entwürfe gibt es noch immer nicht. Was ist denn da los?

Das sind Projekte, die eine gewisse Sensibilität und die Einbindung gewisser Stakeholder brauchen – zum Beispiel der Medien. Das findet gerade statt. Ich gehe davon aus, dass es schon im Laufe der nächsten Woche Ergebnisse geben wird.

Stichwort Transparenz: Eine der größten Rettungsaktionen betraf Austrian Airlines. Warum darf der Steuerzahler die Details des Vertrags nicht kennen, den er da finanziert?

Details des Vertrags sind bekannt: 150 Millionen Zuschüsse vom Staat, 150 Millionen von der Lufthansa und 300 Millionen an Bankgarantien. Im Gegenzug gibt es eine Standortgarantie mit Proportionalität.

Stimmt es, dass Kurzarbeit bis 2022 zugesichert worden ist?

Die Kurzarbeit gilt für alle Unternehmen gleich. Es gibt keine spezifische Zusage an Austrian Airlines.

Kommende Woche beginnt in großen Teilen Österreichs die Schule. Ist Österreich für diese Zeit gut aufgestellt?

Gewisse Naturgesetze kann man nicht außer Kraft setzen. Dass mit Schulbeginn das Risiko für Ansteckungen steigen wird, kann niemand auf der Welt ändern. Jeder Anstieg der Neuinfiziertenzahlen wird zu einer Verschärfung der Maßnahmen führen. Unser Ziel ist, den Unterricht möglichst normal durchzuführen. Wenn es zu Infektionen kommt, werden zunächst Klassen und dann, wenn es notwendig ist, ganze Schulen geschlossen und auf Homeschooling umgestellt.

Wie wollen Sie denn verhindern, dass berufstätige Eltern in diesem Fall wieder zwischen Arbeit und Betreuungspflichten zerrieben werden?

Das ist eine Riesenbelastung für viele Familien. Gerade im letzten halben Jahr haben berufstätige Eltern Gewaltiges geleistet. Wenn Schulen geschlossen werden, wird diese Belastung leider Gottes auch wieder steigen. Wir haben dafür gesorgt, dass es in diesen Fällen die drei Wochen Sonderbetreuungsurlaub weiter gibt.

Allerdings nur, wenn der Arbeitgeber zustimmt. Warum gibt es keinen Rechtsanspruch für solche Eltern, Zuhause bleiben zu können?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es in Krisenzeiten wichtig ist, zusammenzustehen und im bestmöglichen Miteinander vorzugehen. Das hat bisher gut funktioniert.

Sie haben am Freitag die internationale Zusammenarbeit hervorgestrichen. Kurz darauf hat Ungarn angekündigt, seine Grenzen für Ausländer zu schließen. Hat Ungarn Österreich darüber vorab informiert?

Ja. Wir sind in einem stetigen Austausch. Unser Ziel ist aber, dass die Grenzen innerhalb der EU so weit wie möglich offen bleiben, weil viele Bereiche darauf angewiesen sind. Das beginnt beim Güterverkehr und reicht bis zum Pflegebereich. Wir verhandeln gerade mit Ungarn, dass das auch weiterhin möglich bleiben kann.

Wenn wir die aktuellen Corona-Zahlen anschauen, ist ein großer Anteil Reiserückkehrer dabei. War es falsch, die Leute zum Beispiel nach Kroatien fahren zu lassen?

Wir haben als Bundesregierung monatelang Werbung dafür gemacht, den Urlaub in Österreich zu verbringen. Aber es war immer klar, dass viele Menschen im Sommer ihren Urlaub im Ausland verbringen wollen. Wir sind keine Insel wie Australien oder Neuseeland, die ein Ausreiseverbot verhängen kann.

Das nicht, aber man hätte die höchste Reisewarnstufe aufrecht halten können wie im Frühling.

Ab dem Zeitpunkt, wo die Zahlen gestiegen sind, ist die Reisewarnung wieder verhängt worden. Aber viele sind ja auch trotz Reisewarnung zum Beispiel am Westbalkan gewesen. Natürlich war absehbar, dass so Infektionen wieder nach Österreich eingeschleppt werden. Damit kämpfen wir jetzt.

Sie haben im März 15.000 Tests pro Tag versprochen. Bis jetzt ist dieses Ziel noch an keinem einzigen Tag erreicht worden. Warum?

Es gibt die Kapazität dafür inzwischen. Aber es ist nicht meine Entscheidung als Bundeskanzler, wie viel getestet wird, sondern jene der Gesundheitsbehörden. Aber je mehr wir testen, desto mehr auch asymptomatische Infektionsfälle werden wir entdecken.

Apropos Behörden: Wer trägt denn die Verantwortung  für den Mega-Stau an der Kärntner Grenze vor einer Woche?

Es ist absolut inakzeptabel, was hier passiert ist. Das ist eine Zumutung für all jene, die in dem Stau waren, besonders für Familien. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie man so etwas entstehen lassen kann und noch weniger, warum man so etwas nicht sofort beendet. Der Stau wurde ja nach 15 Stunden aufgelöst, warum hat man das nicht nach einer Stunde getan? An Schuldzuweisungen will ich mich aber nicht beteiligen.

Die Auflösung kann ja nur vor Ort erfolgen. Also war die BH Villach Land verantwortlich?

Dass diese BH regional zuständig ist, ist ja bekannt.

Es steht die Entscheidung über die jährliche Pensionserhöhung an, der Vorschlag aufgrund der Teuerung läge bei 1,5 Prozent. Wie hoch wird sie wirklich ausfallen?

Seitdem ich Bundeskanzler bin, habe ich den Zugang verfolgt, kleinere Pensionen etwas stärker anzupassen, weil es um Menschen geht, die mit sehr niedrigen Pensionen über die Runden kommen müssen. Diesem Weg werden wir auch weiter treu bleiben.