Drei große Themenkomplexe will Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag ansprechen, wenn er nach Wochen (fast) kompletter Öffentlichkeits-Abstinenz eine „Erklärung zur aktuellen Lage“ abgeben will.
Neben einer Prognose, wie es nach Einschätzung des Kanzleramts und Experten mit der Coronakrise weitergehen wird („kürzer, als wir ursprünglich angenommen haben, aber Herbst und Winter werden herausfordernd“), stehen die Überschriften „Wirtschaft und Arbeit“, „Digitalisierung und Bildung“ sowie „Sozialer Zusammenhalt & zivilgesellschaftliches Engagement“ auf dem Programmzettel, den das Büro des Kanzlers vorab ausgeschickt hat, um Spannung für Freitag aufzubauen.
Welche Fragen sollte Kurz dabei beantworten? Wir haben bei der Opposition nachgefragt:
1. Welche konkreten Pläne gibt es für den Herbst? Die „Corona-Ampel“ wird heute nicht-öffentlich getestet, kommende Woche soll sie in Vollbetrieb gehen. Welche Folgen es haben wird, wenn die Ampel etwa österreichweit auf „Orange“ schaltet, ist noch unklar. „Die Zeit der Improvisation muss nach sechs Monaten endlich vorbei sein“, sagt Neos-Generalsekretär Nikola Donig und verlangt Präzisierungen. FPÖ-Chef Norbert Hofer drängt auf „ein Ende der Panikmache“. Die Regierung solle Maßnahmen zum Schutz der Risikogruppen treffen und allen anderen „die volle Freiheit gewähren“.
2. Was tut der Staat, um zu verhindern, dass neuerliche Lockdowns wieder vor allem Eltern treffen? Es gibt keine klaren Vorgaben für Schulen, was bei Verdachtsfällen passieren wird, kritisiert die SPÖ: „Eltern wissen nicht, was zu tun ist, wenn die Kinder Schnupfen haben.“
3. Gibt es in der Regierung Kurz II Fehlerkultur? Was ist in den vergangenen Monaten falsch gelaufen, was hat die Regierung aus den Fehlern gelernt? Will man das Parlament stärker einbinden? „Es wäre höchste Zeit, dass die Bundesregierung für eine solche Aufarbeitung auf alle Parteien zugeht“, so Donig. Hofer fordert „eine ehrliche Entschuldigung – Stichwort Verordnungschaos, Grenzschikanen und überbordende Reisewarnungen“.
4. Wie hält es die Regierung mit der Transparenz? Ein noch bis zur Sommerpause angekündigter Entwurf für ein umfangreiches Transpanzen- und Antikorruptionspaket lässt bis heute auf sich warten – ob es für die von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) angekündigte „Champions League der Transparenz“ reichen wird, ist offen.
5. Wie geht es mit Staatshilfen für Unternehmen weiter? „Tausende kleine und mittlere Unternehmen“ würden über mangelnde Unterstützung klagen, kritisiert etwa die SPÖ. Die FPÖ will einen Schuldenschnitt für heimische Unternehmen und einen 1.000-Euro Gutschein für alle Österreicher aus.
6. Wie soll es mit der Arbeitsmarkt-Politik weitergehen? Derzeit sind fast eine halbe Million Menschen in Kurzarbeit – was passiert, wenn diese ausläuft? 430.000 sind schon jetzt ohne Job. Die SPÖ hofft darauf, dass der Kanzler ihre Idee zur Arbeitszeitreduktion aufgreift: „Statt 20 Prozent der Belegschaft zu kündigen, ist es besser, die Arbeitszeit um 20 Prozent zu reduzieren“, so Parteichefin Pamela Rendi-Wagner.
7. Was wurde eigentlich aus der Klimapolitik? Dem Regierungsprogramm zufolge soll Österreich bis 2040 klimaneutral werden – während in den Corona-Maßnahmen schon einige Schritte dahingehend festgezurrt wurden, wird mehr nötig sein, um dieses Ziel zu erreichen. Außerdem wird es schwieriger (und dank EU-Strafzahlungen teurer), je länger hier mit weitgehenden CO2-Reduktionsmaßnahmen gewartet wird. Die Neos fordern etwa Details zu den nächsten Schritten zur Ökologisierung des Steuersystems ein.
8. Als im Angesicht des Virus ein großer Teil der Österreicher plötzlich auf Homeoffice und Distanzunterricht umgestellt hat, wurden viele Schwächen der heimischen Digital-Infrastruktur offensichtlich. Europaweit liegt die Republik zum Beispiel auf den hinteren Rängen, was den Ausbau von Glasfaser-Anschlüssen angeht. Nimmt die Regierung die Krise zum Anlass, das anzugehen?
9. Wie will die Regierung die Pflegefrage angehen? Grenzschließungen haben offengelegt, wie abhängig Österreich hier von ausländischen Hilfskräften ist. „In den nächsten zehn Jahren fehlen 75.000 Pflegekräfte“ warnt die SPÖ: Sie schlägt einen Ausbildungsbonus von 500 Euro für Umsteiger zusätzlich zum Arbeitslosengeld und eine kostenlose Pflegeausbildung vor.
10. Wie hoch soll die Pensionserhöhung 2021 ausfallen? Die vorgesehene Erhöhung liegt bei 1,5 Prozent – Pensionistenverbände fordern mehr. Folgt die Regierung dem – oder verzichtet sie angesichts des Wirtschaftseinbruchs auf diese jahrzehntealte Praxis?
Georg Renner