Michael Landau ist ein Optimist. Ob das Voraussetzung für seinen Job ist oder automatisch mit ihm kommt, dürfte eine der großen Henne-und-Ei-Fragen der österreichischen Kirchenlandschaft sein.
„In den vergangenen 25 Jahren hat sich vieles zum Positiven hin verändert“, sagt Landau zum Beispiel im Gespräch mit der Kleinen Zeitung über die Zeit, in der er mehr und mehr zum Gesicht der Caritas geworden ist, der Hilfsorganisation der katholischen Kirche. Zuerst, 1995, als Direktor der Wiener Caritas, seit 2013 als Präsident der Caritas Österreich – und jetzt, seit dieser Woche als Präsident der Caritas Europa.
Heute feiert Landau seinen 60. Geburtstag. Und wäre alles nur ein klein bisschen anders gekommen, würde er dieser Tage vielleicht nicht als Österreichs zweitbekanntester Kirchenmann nach dem Kardinal interviewt werden, sondern vielleicht als Experte in der Corona-Krise. Denn seine akademische Laufbahn hat der promovierte Theologe und Kirchenrechtler woanders begonnen: In den Naturwissenschaften.
Geboren 1960 als Sohn eines jüdischen – 1939 vertriebenen und nach dem Krieg zurückgekehrten – Vaters und einer katholischen Mutter in Wien, begann Landau das Studium der Biochemie. Erst als Student fand er zur Kirche, „und langsam reifte in mir dann der Gedanke, Priester zu werden“, erzählt er „Ich dachte eigentlich zuerst – als Naturwissenschaftler hat man diese Einstellung – Theologie wäre keine richtige Wissenschaft.“
1986 trat er in das Wiener Priesterseminar ein, aber erst während seiner Dissertation über Lipidanalyse begann Landau, Vorlesungen aus Theologie zu besuchen – und war gefesselt. Nach mehreren Jahren in Rom, wo er sein Studium vollendete, wurde er 1992 zum Priester geweiht. 1995 avancierte er als Nachfolger des späteren Pfarrerinitiative-Gründers Helmut Schüller zu Wiens Caritas-Direktor.
„Ich glaube, ich habe heute die schönste Aufgabe, die man in der Kirche haben kann“, sagt Landau, vor sieben Jahren von den neun Caritas-Diözesanorganisationen zum Präsidenten erkoren. Und bleibt, natürlich, optimistisch: „Gerade der Blick zurück macht mich zuversichtlich für die Zukunft“, sagt der Priester: Wenn er etwa daran denke, wie die Gesellschaft noch in den 1990er Jahren mit Menschen mit Behinderung umgegangen sei und wie deren Inklusion heute selbstverständlich sei –auch wenn noch vieles zu tun bleibt.
Aus solchen Überlegungen folgert Landau, der sich gerne in langen, logischen Gedankenketten ausdrückt – vielleicht ein Erbe naturwissenschaftlicher Prägung –, die Hoffnung, dass auch in der gegenwärtigen Krise nicht auf die Schwächsten der Gesellschaft vergessen wird. Als deren Fürsprecher sieht er die Caritas berufen – auch als Lobby gegenüber der Politik in Sozialangelegenheiten.
Gerade jetzt sieht Landau Handlungsbedarf, wo „ein Stück Krise in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist“ – was die Caritas an ihren 1600 unterschiedlichen Orten täglich spüre. „Es ist uns gemeinsam gelungen, gut durch die Gesundheitskrise zu kommen; jetzt wünsche ich mir, dass wir die gleiche Energie und Tatkraft zur Bewältigung der sozialen Krise aufbringen“, sagt Landau.
Er fordert eine „Solidaritätsmilliarde“ für Menschen ein, die besonders unter den Folgen der Corona-Krise leiden – und das Wort „fordert“ ist schon fast zu stark formuliert für die freundlich-verbindliche Art Landaus.
Denn als Caritas-Präsident ist Landau schon immer darauf bedacht, nicht zu sehr auf Konfrontation zu gehen mit der Politik: „Eine öffentliche Auseinandersetzung kann nie das Ziel sein“, sagt Landau: „Es ist besser, Dinge im Gespräch zu lösen als im Konflikt.“ In der Politik vernimmt der Präsident nach wie vor „eine Bereitschaft, uns zuzuhören“: Zum Beispiel, wenn es um den Bereich Pflege geht, wo die Caritas seit Jahren auf eine nachhaltige Lösung drängt. „Im Sozialministerium hat man uns versichert, dass im Herbst der Startschuss für eine Reform fällt – da bin ich zunächst einmal optimistisch.“
"Christus hat die Kirche nicht zum Ja-Sagen gestiftet"
Was Landau nicht dazusagt –und nie dazusagen würde: Dass sich das Verhältnis zur Politik gegenüber der türkis-blauen Regierung deutlich entspannt hat. Auch, wenn Landau nie unmittelbar auf Konfrontation zu Herbert Kickl, Beate Hartinger-Klein und den anderen Ministern ging: Wer zwischen den Zeilen lesen kann, konnte sich denken, wie Zeilen wie „Wer bei Kindern spart, spart an Zukunft“ gemeint waren, die die Caritas Anfang 2019 in einem offenen Brief an die Regierung richtete. Eine Deutlichkeit, die manchem, der lieber hinter den Kulissen mit der Regierung verhandelt hätte, sauer aufstieß.
„Ich habe schon den Eindruck, dass der eine oder andere Bischof ein paar Mal durchatmen muss. wenn wir uns zu Wort melden“, sagt Landau, und man kann das bedächtige Lächeln durch das Telefon hören. Aber es gäbe wohl überall das Verständnis, dass „Christus die Kirche nicht zum Ja-Sagen gestiftet hat“, zitiert er seinen Vorgänger Leopold Ungar.
Landau, eigentlich mehr Pragmatiker auf der Suche nach Lösungen als ein großer Ideologe, hat in den vergangenen Jahren – vor allem zum Höhepunkt der Asylkrise 2015 und danach – auch einige Feinde gemacht. Der damalige FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus etwa unterstellte Landau und der Caritas „Geschäftemacherei“; auch in Social Media, wo Landau auf Facebook und Twitter selbst aktiv ist, wird er immer wieder attackiert. „Ich halte mich hier an den Heiligen Ignatius“, sagt Landau: „Ein Teil der Leute redet nett von einem, obwohl man das in Wahrheit nicht verdient hat; und ein anderer Teil der Leute redet nicht nett über einen, obwohl man das in Wahrheit nicht verdient hat. Und man tut gut daran, das eine wie das andere ernst, aber nicht zu ernst zu nehmen.“
Georg Renner