Der Streit um den Umgang der Stadt Wien mit mehreren Coronafällen ist am Montag weiter eskaliert. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat der Stadtverwaltung in einer eilig einberufenen Pressekonferenz vorgeworfen, nicht ernsthaft mit dem Einsatzstab des Bundes zu kommunizieren: Dieser hätte aus den Medien erfahren, welche Leiharbeiterfirma von einer neuen Infektionswelle im Postverteilerzentrum in Hagenbrunn betroffen sei. „Besorgniserregend“ seien die Zustände in Wien, wo es derzeit rund viermal so viele Infizierte gibt wie in anderen Ländern – und sprach eine „Mahnung“ an die Stadt Wien aus.
In der SPÖ, die den Wiener Bürgermeister stellt, sieht man in Nehammers Attacke eine „skandalöse Anti-Wien-Kampagne“, wie es Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch formuliert. „Schäbig“ sei es, die Coronakrise für Parteipolitik und Wahlkampf zu missbrauchen“, ergänzt Parteichefin Pamela Rendi-Wagner mit Hinblick auf die im Oktober anstehende Gemeinderatswahl.
In der Bundesregierung herrscht Uneinigkeit über die Situation: Wenige Minuten vor Nehammer hatte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erklärt, die neuen Fälle beträfen Wien und Niederösterreich, beide würden „hervorragend zusammenarbeiten“. Später mahnte Anschober zu Zusammenarbeit statt „Streitereien“. Zur Eindämmung seien „unser aller Engagement und Zusammenarbeit“ nötig. „Viel zu rasch kann ansonsten aus einem Cluster eine zweite Welle werden.“
Was steckt nun hinter dem Konflikt? Die gute Nachricht zuerst: Seit einer Woche ist in Wien niemand mehr im Zusammenhang mit dem Coronavirus verstorben. Die Zahl der Neuinfektionen bleibt aber stabil, mit kleinen Schwankungen von Tag zu Tag. Hauptverantwortlich dafür ist ein einziger Cluster, der in den vergangenen Wochen nach und nach den Weg in die Statistiken gefunden hat.
Die Entdeckung des Clusters veranschaulicht, welche Strategie die Stadt mittlerweile bei den Tests verfolgt: „Wir warten nicht mehr darauf, bis sich die Leute bei der Gesundheitshotline 1450 melden. Ein Großteil der Tests in Wien entfällt auf die gezielte Suche nach Clustern“, sagt der Sprecher von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Hacker verbucht es deshalb auch als Erfolg der Strategie, den Cluster im Asylheim „Haus Erdberg“ gefunden zu haben.
Nachdem dort am 1. Mai die ersten Menschen positiv getestet worden waren, wurde das Haus evakuiert und die Bewohner in der Messe Wien unter Quarantäne gestellt. Die Stadt vermutete Erkrankungen in weiteren Asylheimen und begann, dort verstärkt zu testen. Rund 1000 Tests wurden durchgeführt, kaum einer davon war positiv.
Im Rahmen des „Contact-Tracings“ kamen dann ehemalige Bewohner des Hauses ins Visier, die mittlerweile in Starterwohnungen für Asylberechtigte leben. Auch in diesen Wohnungen wurde getestet, wieder waren einige positiv. Auffällig war hier, dass viele Infizierte als Leiharbeiter in den Post-Verteilungszentren in Inzersdorf und Hagenbrunn arbeiteten. Die Mitarbeiter dort wurden getestet, Dutzende waren positiv. Mittlerweile befinden sich mehr als 400 Personen in Zusammenhang mit diesem Cluster in Heimquarantäne.
Die Stadt möchte den Fokus der Tests jetzt im Umfeld der Leiharbeiter setzen, um weitere Fälle zu finden: „Wir werden die Bewegungen der Arbeiter nachverfolgen, dann die Firmen durchtesten, die für die Post tätig sind, und dann alle Leiharbeiterfirmen in Wien“, heißt es in Hackers Büro.
Auch an einer weiteren Front gärt es zwischen Wien und ÖVP-Ministerium: Die Sprecher der Direktoren an AHS und BMHS haben das Bildungsministerium per offenem Brief dazu aufgefordert, auf das „Monitoring“ zu den Schulen.