Es ist ein kurzes Telefonat mit Kanzler Sebastian Kurz an jenem Freitagmorgen im Mai, das das Leben von Norbert Hofer für immer verändern sollte. Der Koalitionspartner setzt den ahnungslosen Freiheitlichen darüber in Kenntnis, dass sein Parteichef und langjähriger Weggefährte Heinz-Christian Strachein einem auf Ibiza aufgenommenen Video von Möglichkeiten der Korruption, illegalen Parteienfinanzierung und von der Kontrolle unliebsamer Medien plappert.
Hofer wählt aufgeregt Straches Nummer, der ihm beichtet, dass ihm die Sache peinlich sei. Wenige Stunden später erklärt er unter Tränen seinen Rücktritt. Noch am selben Abend ist die türkis-blaue Koalition Geschichte.
Wut und Enttäuschung
Nachdem die freiheitlichen Minister und Ministerinnen auf einen Schlag ihr Amt los sind, beginnt es in der Partei zu brodeln. Wut und Enttäuschung machen sich breit. Ausgerechnet jener Mann, der die Partei 14 Jahre zuvor vom Umfrage-Boden aufgelesen und hin zu einer Koalitionsbeteiligung geführt hat, stürzt sie nun mit „einer b’soffenen Gschicht“ in die Krise. Andere wiederum halten weiter „zum Chef“ und beklagen die „gestellte Falle“.
Nachdem sich Strache aber auch als Parteiobmann zurückgezogen hat, muss ein neuer her. Die Wahl fällt auf Norbert Hofer, der seit dem Bundespräsidentschaftswahlkampf als freundliches Aushängeschild der Partei gilt. Ihm zur Seite gestellt wird Chefstratege Herbert Kickl, dessen harte Gangart als Innenminister und stets scharfe Zunge Signal an die Wähler am rechten Rand sein soll.
Damit setzt die Partei nach Jahren des Ein-Personen-Kults auf eine Quasi-Doppelspitze mit anderer Dynamik. Hofer und Kickl sind keine alten Freunde und Zechkumpanen, sondern ausschließlich Kollegen. Sie wissen, dass sie einander brauchen und Dissens der Partei noch mehr schaden würde.
Die nächste Bombe platzt - Spesenaffäre
Dafür sorgt ohnehin der einstige Parteichef, der inzwischen seinen „völligen Rückzug“ aus der Politik angekündigt hat. Während Umfragen die FPÖ auf verkraftbare Stimmverluste hoffen lassen, platzt die nächste Bombe. Saftige Spesenabrechnungen Straches über die Wiener Partei werden publik, die intern nur wenige überraschen. Straches ausschweifendes Leben war bekannt, ob seiner Wahlerfolge habe man ihn gewähren lassen.
Doch die Wähler haben genug und strafen die Partei ab, die zehn Prozentpunkte verliert. Die Freiheitlichen lecken ihre Wunden und gehen in Opposition. Aber es brodelt weiter. Drei Wiener Abgeordnete spalten sich ab und gründen die „Allianz für Österreich“ – und plötzlich steht ein politisches Comeback Straches im Raum, pünktlich zur nächsten Wahl.
Nepp als leichte Beute für Strache
Nachdem der Wiener Partei mit den „Hauptdarstellern“ des Ibiza-Videos die beiden bekanntesten Gesichter abhandengekommen waren, muss Dominik Nepp einspringen. Dessen fehlende Bekanntheit und Erfahrung machen ihn zur leichten Beute für Strache, der zahlreiche Wahlkämpfe am Buckel hat und scharf gegen seinen Ex-Kollegen schießen wird.
Denn während Nepp von seiner Partei angesichts der schlechten Ausgangslage ohnehin mit moderaten Erwartungen ins Rennen geschickt wird, geht es für Strache um nicht weniger als sein politisches Überleben.
"Hoffen" auf Corona
Angesichts dieser tristen Zukunftsaussichten legt die FPÖ nun all ihre Hoffnung auf Corona – genauer gesagt, auf die wirtschaftlichen Folgen des Virus. Sind diese in Form von hohen Arbeitslosenquoten, Wirtschaftspleiten und Staatsschulden erst absehbar, schielt die Partei auf Wählerstimmen aus einem – für sie seit jeher essenziellen – Lager: das der „Abgehängten“ und enttäuschten „kleinen Leute“.
Viele Freiheitliche hoffen darauf, dass die langjährige Erfahrung als kantige Oppositionspartei und ein steigender Frust in der Bevölkerung jene Mischung sein könnte, die die Partei aus dem Tal der Tränen holen kann. „Diese Hoffnung ist ja derzeit alles, was uns bleibt“, sagt ein Wiener Funktionär trocken.
Zuerst "Lockdown", dann "Corona-Wahnsinn"
Erste Schritte dieses „Auferstehungsplans“ sind schon jetzt zu beobachten. Die FPÖ, die als erste Partei einen „Lockdown“ von Land und Grenzen gefordert hat, beklagt nun „Corona-Wahnsinn“ in Form von türkis-grünen Beschränkungen. Dass die Linie der Partei schon einmal konsistenter war, können dieser Tage nur die wenigsten bestreiten.
Dem neuen Narrativ dürfte aber einmal mehr die Vergangenheit in die Quere kommen. Denn zusätzlich zum Wahlkampf, bei dem die FPÖ ohnehin alle Hände voll damit zu tun haben wird, sich von Strache abzugrenzen, startet mit 4. Juni der Ibiza-Untersuchungsausschuss.
Gleich zu Beginn sollen Strache und Gudenus Rede und Antwort stehen. Wieder wird es um Spenden über FPÖ-Vereine und andere Machenschaften gehen, wieder wird die Spesen-Affäre aufkochen und wieder wird sich die FPÖ die Frage gefallen lassen müssen, was sie ihrem ehemaligen Heilsbringer alles hat durchgehen lassen. Und darüber wird auch ein auf Krawall gebürsteter Kickl im Ausschuss nicht hinwegtäuschen können.