Selbst langjährigen Beobachtern des Aufstiegs von Sebastian Kurz vom JVP-Chef (im Alter von 22 Jahren) über Staatssekretär (24), Außenminister (27) zum Kanzler (31) drängt sich bisweilen die Frage auf: Was treibt dieses politische Ausnahmetalent an? Ist es Ehrgeiz? Eine politische Vision? Echter Gestaltungswille?Oder das Spiel mit der Macht?

Eine Annäherung liefert der aufstrebende Innenpolitik-Journalist Klaus Knittelfelder (vormals Kleine Zeitung, nun Kronen Zeitung). In seinem anekdotenreichen Buch „Inside Türkis“ holt Knittelfelder die engsten, weithin unbekannten Mitstreiter des Kanzlers vor den Vorhang.

Konservativ und katholisch

Kurz ist kein Mann der einsamen Entscheidungen, sondern ein Teamplayer: „Ich bin ein totales Rudeltier“, wird Kurz zitiert. „Ich will Leute um mich haben, die was können, wofür ich sie bewundere.“ Tatsächlich schart Kurz eine verschworene Truppe von Gleichgesinnten um sich, die sich durch ein konservatives Weltbild, den neoliberalen Glauben an den Markt, die Ablehnung des starken Staates, eine Grundskepsis gegenüber der EU, den unbändigen Hass auf die SPÖ, ausgeprägten Ehrgeiz und hohes Arbeitsethos auszeichnen.

Die meisten Mitstreiter begleiten Kurz seit fast einem Jahrzehnt, sind im Regelfall älter als er, männlich, verheiratet, haben Kinder, wurden in der niederösterreichischen, wenig urbanen ÖVP sozialisiert: Chefstratege Stefan Steiner, Marketing-Guru Philipp Maderthaner, Organisationschef Axel Melchior, Spindoktor Gerald Fleischmann, Kabinettschef Bernhard Bonelli, Sprecher Johannes Frischmann, Wirtschaftsexperte Markus Gstöttner.

Exklusivmeldung der Kleinen Zeitung als Druckmittel

So enthüllt Knittelfelder in dem Buch, dass die Kleinen Zeitung bei der Bestellung von Kurz zum Integrationsstaatssekretär keine unwesentliche Rolle spielte. Als allererstes Medium verkündete die Kleine Zeitung in den Abendstunden des 18. April 2011, dass ÖVP-Chef Michael Spindelegger den damaligen JVP-Chef als Staatssekretär in die Regierung holen wolle. Spindelegger hatte dem jungen Wiener das Angebot wenige Stunden vor der Meldung unterbreitet. Offenkundig traute sich der damals 24-Jährige diese Aufgabe nicht zu und war entschlossen, dem Parteichef eine Absage zu erteilen. Unter Verweis auf die Exklusivmeldung in der Onlineausgabe der Kleinen Zeitung konnte Spindelegger, berichtet Knittelfelder, Kurz dann doch noch überrumpeln.

Mit Tanner verschwägert

Knittelfelder bringt in dem Buch noch wenig bekannte Details ans Licht. So wuchs Chefstratege Steiner in der Türkei auf (die Eltern unterrichteten am St. Georgs-Kolleg) und prägte mit seinen persönlichen Erfahrungen die skeptische Haltung des Kanzlers in der Migrationsfrage. Steiner hielt in der Hochphase der Migrationsfrage im Herbst 2015 davon ab, wie alle anderen Regierungspolitiker zum Westbahnhof zu pilgern. Steiner ist mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner verschwägert. Mit der ÖVP machte er Bekanntschaft, weil sein Elternhaus an das Grundstück der Familie Pernkopf grenzt – Stefan Pernkopf war ein Intimus von Ex-ÖVP-Chef Josef Pröll und ist heute stellvertretender Landeshauptmann von Niederösterreich.

Zwei Kanzlersprecher in Rockband

Kommunikationschef Fleischmann machte sich in jungen Jahren als Rockmusiker, Leadsänger und Frontmann einer burgenländischen Band einen Namen, als Bassist spielte dort auch Ex-Faymann-Pressesprecher Leo Szemeliker. Kurz wollte Fleischmann im Herbst 2019 zum Staatssekretär machen, doch der Burgenländer mit dem untrüglichen Gespür für die Bedürfnisse des Boulevards lehnte ab.

Schülerunion als ÖVP-Kaderschmiede

Kabinettschef Bonelli studierte an der Opus-Dei-Universität in Barcelona, ehe er zum renommierten Beratungsunternehmen Boston Consulting wechselt, das von der heutigen Kurz-Beraterin Antonela Mei-Pochtler geführt wurde. Kurz lernte Bonelli in der ÖVP-nahen Schülerunion kennen - wie im Übrigen auch die beiden heutigen Ministerinnen Christine Aschbacher und Susanne Raab, die dem Vorstand der ÖVP-nahen Schülerorganisation angehörten.

Knittelfelder wirft in dem Buch auch die Frage auf, warum der vielleicht engste politische Weggefährte des Kanzlers, der um ein paar Jahre ältere Gernot Blümel, immer im Schatten von Kurz stand. Einen Kampf um Platz eins habe es nie gegeben, wird Blümel, der früher gemeinsam mit Kurz auf Urlaub (Surfen am Gardasee) fuhr, zitiert, die Rollenverteilung sei „immer schon klar gewesen.“

Ein eigenes Kapitel ist der langjährigen Social-Media-Beauftragten des Kanzlers, Kristina Rausch, gewidmet, die jetzt die Pressearbeit in der Bundesparteizentrale leitet. Nur gestreift werden andere engen Mitstreiter wie etwa Etienne Berchtold, außenpolitische Sprecher des Kanzlers,  Lisa Wieser, seit 2011 dessen Bürochefin, die außenpolitische Beraterin Barbara Kaudel oder auch Arno Melicharek, der als Schredder-Mann Berühmtheit erlangt hat - die letzten drei sind allesamt gebürtige Grazer.

Knittelfelder streift in seinem lesenswerten Erstlingswerk auch die Schattenseiten dieses hochprofessionellen, schlagkräftigen Machtapparats: die Degradierung der türkisen Minister zu Marionetten, die versuchte Gleichschaltung der Koalitionspartner, die Geringschätzung des Parlamentarismus, das Unbehagen gegenüber einem unbotmäßigen, unabhängigen Journalismus.