Wie verbringen Sie den 1. Mai?
Michael Ludwig: Leider nicht am Rathausplatz auf der Festtribüne bei der größten politischen Kundgebung des Landes, sondern in meinem Büro im Rathaus. So wissen die Menschen, dass der Kapitän auf der Brücke ist.
Die Wiener SPÖ hat ja viele Aktivitäten zum 1. Mai geplant, allerdings fast ausschließlich virtuell. Ist es der Probegalopp für den virtuellen Wahlkampf im Herbst?
Der Wahlkampf ist noch sehr weit weg. Ich hoffe auf einen kurzen Wahlkampf. Derzeit konzentriere ich mich auf die Bewältigung der Corona-Krise.
Ist es vorstellbar, dass es einen Wahlkampf ohne Handshake geben wird?
Ich bin auch in die Politik gegangen, weil ich gern den direkten Kontakt mit den Menschen habe. Aufgrund der Rahmenbedingungen wird es ein anderer Wahlkampf werden, der besondere Herausforderungen mit sich bringt.
Die Neos und die Grünen tun sich mit dem Virtuellen leichter als die SPÖ, die von vielen Pensionisten gewählt wird? Ist es ein Startnachteil?
Bei manchen Zielgruppen der SPÖ, etwa bei den Älteren, ja - aber ich bin überzeugt, dass wir mit unseren Themen punkten können. Die sind aktueller denn je.
Was ist, wenn der für den 11. Oktober festgesetzte Wahltermin verschoben werden muss?
Darüber spekuliere ich jetzt nicht. Ich gehe davon aus, dass wir am 11. Oktober wählen. Wir werden Vorkehrungen treffen, dass dem verstärkten Bedürfnis nach einer Briefwahl entsprochen werden kann. Es sollen alle Wiener die Möglichkeit besitzen, an der Urne ihre Stimme abzugeben.
Wird es mehr Wahllokale geben, um den Andrang zu minimieren?
Das denken wir gerade durch. Es sollen jedenfalls alle Wienerinnen und Wiener die Möglichkeit haben, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen.
Wer entscheidet über eine eventuelle Verschiebung?
Das müsste vom Gemeinderat beschlossen werden. Ich würde mich aber zuvor vom medizinischen Krisenstab der Stadt Wien eingehend beraten lassen. Es müsste schon besonders gravierendes passieren.
Das Donauinselfest soll stattfinden, das Oktoberfest in München wurde abgesagt. Ist das nicht verantwortungslos?
Bis zum Donauinselfest ist noch viel Zeit. Es gibt noch so viele Festivals in Österreich, die vorher stattfinden sollen und noch nicht abgesagt worden sind. Wir werden verantwortungsvoll handeln.
Die Regierung hat - je nach Berechnung - 45 oder sogar 50 Milliarden Euro in die Hand genommen, sie will die Steuern für die untersten Einkommen senken und hat die Notstandshilfe angehoben. Wie wollen Sie den Wahlkampf thematisch anlegen, wenn man den Eindruck hat, dass Kurz und Kogler die SPÖ links überholen wollen?
Das waren bisher nur Ankündigungen. Von der Wirtschaft hört man, dass viele Vorhaben noch nicht angekommen sind. Ich will aber auch wissen, wer die Zeche zahlt. Im Kampf für Arbeitsplätze haben schon wir die höchste Kompetenz!
Viele Vorhaben klingen sehr sozialdemokratisch. Das müsste Sie doch freuen?
Es ist schön, dass es den Systemwechsel in der ÖVP gibt und sie auf unsere Linie einschwenkt. Vor wenigen Wochen war das Dogma noch: keine neuen Schulden, Nulldefizit. Jetzt heißt es: Koste, was es wolle.
Die FPÖ ist als mächtiger Widersacher weggefallen, wovon die SPÖ bei den letzten Wahlgängen stets profitiert hat. Wie schwierig wird es sein, sich im Wahlkampf gegen Türkis-Grün zu positionieren?
Mir geht es nicht um irgendwelche Positionierungen, ich vertrete die Interessen der Wiener Bevölkerung. Ich bin schon gespannt, wo Finanzminister Blümel die 50 Milliarden Euro hernimmt. Die wird er nicht aus der Portokasse nehmen. Es gibt zunehmend Gemeinden und Städte in Österreich, die unter größtem finanziellen Druck stehen.
So wie man Kurz kennt, würde er dann 55 Milliarden locker machen?
Hat er eine Gelddruckmaschine im Keller?
Alle Ökonomen sagen, dass der Staat Unsummen in die Hand nehmen muss, weil sonst die Wirtschaft den Bach runtergeht?
Wir waren immer für eine Politik, die in erster Linie die Arbeitsplätze rettet und die heimischen Betriebe absichert. Wenn die ÖVP auf unseren Kurs plötzlich umschwenkt, freut mich das.
Neoliberal ist die ÖVP nicht mehr?
Richtig. Die Corona-Krise ist der Sargnagel des Neoliberalismus. Wenn die ÖVP der Ansicht ist, mehr Sozialdemokratie sei nötig in unserem Land, so habe ich nichts dagegen.
Wie managt die Regierung die Krise? Österreich steht im internationalen Vergleich gut da.
Ich verweise darauf, dass ich bereits Ende Jänner einen medizinischen Krisenstab eingerichtet habe. Wir haben in Wien strikte Zugangsbeschränkungen für Spitäler und Pensionistenheime beschlossen. Wir haben mit dem Ärztefunkdienst dafür gesorgt , dass die Leute nicht ins Spital fahren, sondern zu Hause getestet werden.
Es gibt Leute, die sagen: Wir hätten das schwedische Modell übernehmen sollen?
Man wird das erst frühestens in einem Jahr, am Ende der Krise bewerten können. Für mich war immer klar, dass das Leben der Menschen im Vordergrund stehen muss.
Noch einmal die Frage: Hat die Regierung richtig gehandelt?
Wir waren im ständigen Dialog mit der Regierung. Wir haben leider manchmal Maßnahmen über die Medien erfahren. Im Großen und Ganzen habe ich sie mitgetragen, um keine unterschiedlichen Meinungen in der Öffentlichkeit zu präsentieren. In einer solchen Phase ist politischer Streit nicht sinnvoll.
Sie haben ein gutes Gespür für die Stimmungen in der eigenen Partei. Wie geht die Befragung von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner aus? Am 6. Mai wird das Ergebnis präsentiert.
Es wird ein Ergebnis sein, das allein die Parteivorsitzende, der die Befragung wichtig war, zu bewerten hat. Für mich sind im Augenblick andere Maßnahmen bedeutender.
Die Befragung war also keine gute Idee?
Es war ihr Wunsch. Ich hätte sie nicht für notwendig erachtet, da sie am Parteitag mit 97 Prozent gewählt worden ist
Was sollte die Schmerzgrenze sein?
Das muss sie entscheiden.
Ich versuche es anders herum: Ist Rendi-Wagner im Herbst Parteivorsitzende?
Ich gehe davon aus.