Die türkis-grüne Regierung lässt die von vielen Juristen als problematisch eingestuften Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nun doch evaluieren. Eine entsprechende Expertengruppe hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) angekündigt. An Bord ist u.a. der frühere VwGH-Präsident Clemens Jabloner oder Ex-Justizminister Werner Peschorn. Jabloner hält die Maßnahmen für "grosso modo verhältnismäßig", sieht aber Verbesserungsbedarf.
Juristen hatten in den Krisenverordnungen der Regierung eine ganze Reihe an problematischen Punkten identifiziert. Allen voran, dass zu Beginn des "Shutdown" weder der Polizei noch den Bürgerinnen und Bürgern genau klar war, was genau mit den Ausgangsbeschränkungen noch erlaubt war und was nicht. So hatte die Regierung gemeint, auch private Osterfeiern untersagen zu können, was Juristen als unzulässigen Eingriff in das Hausrecht werteten.
Die unklare Rechtslage sieht auch Jabloner als Problem. "Es muss allen Menschen klar sein, was sie tun dürfen und was ihnen verboten ist", sagte der frühere Präsident des Verwaltungsgerichtshofes am Mittwoch. Zuvor hatte Gesundheitsminister Anschober überraschend eine Arbeitsgruppe zur Evaluierung der Maßnahmen angekündigt, der neben Jabloner auch Juristen aus Verwaltung und Universitäten angehören.
Einbindung bei Covid-6-Paket
Die von Anschober eingesetzte Juristengruppe soll das Ministerium unter anderem bei der Vorbereitung des geplanten sechsten Maßnahmenpakets unterstützen. Geplant ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums sowohl eine Evaluierung der bisherigen Maßnahmen als auch die Beratung bei der Vorbereitung von "Covid-Maßnahmenpaket VI" und weiteren rechtlichen Schritten im Zusammenhang mit dem geplanten "Containment". Letzteres regelt, wie Personen mit Verdacht auf eine Covid-19-Infektion rasch getestet und isoliert werden können.
Kurz wies Kritik zurück
Überraschend kam der Schritt des Gesundheitsministers deshalb, weil Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Kritik an den Krisenmaßnahmen zuvor noch abgetan hatte. Der ÖVP-Chef hatte am Dienstag das Funktionieren der Republik als Priorität genannt und gemeint, ob alle Maßnahmen "auf Punkt und Beistrich" gepasst hätten, werde der Verfassungsgerichtshof im Nachhinein beurteilen.
Von der Opposition kam denn auch harsche Kritik an den Aussagen des Bundeskanzlers. "Die Regierung ist an die Verfassung gebunden und kann sich nicht über die Grundrechte hinwegsetzen", forderte SP-Justizsprecherin Selma Yildirim "größtmögliche Sorgfalt" im Umgang mit Grundrechten. Und FP-Klubchef Herbert Kickl erinnerte den Bundespräsidenten an seinen Sager von der "Schönheit der Verfassung" und forderte eine Stellungnahme Alexander Van der Bellens zu den Aussagen des Kanzlers.
Auch die Richtervereinigung plädierte bei allem Verständnis für den krisenbedingten Zeitdruck dafür, die Korrektur von Fehlern nicht dem Verfassungsgerichtshof zu überlassen. "Es handelt sich nicht nur um juristische Spitzfindigkeiten, sondern um konkrete Probleme", sagte Präsidentin Sabine Matejka und plädierte außerdem dafür, weitere Maßnahmen vor ihrem Beschluss wieder öffentlich zu begutachten.
Für die Rückkehr zu kurzen Begutachtungsverfahren sprach sich am Mittwoch auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler aus. Die Kritik der Opposition an Kurz wies sie aber zurück: "Letztlich kann man einer Beurteilung des Verfassungsgerichtshofs nicht vorgreifen, das ist das Wesen eines Rechtsstaates." Und die inhaltliche Verantwortung für die meisten Maßnahmen sieht sie beim Gesundheitsministerium: "Es ist in der Verantwortung jedes Ressorts, das ein Gesetzesvorhaben einbringt, danach zu trachten, dass es verfassungskonform ist."