Und auf einmal ist sie wieder da, die Uneinigkeit. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte als Erster Sympathie für die Idee geäußert, die Nutzung der „Stopp Corona“-App des Roten Kreuzes verpflichtend zu machen. Die Opposition reagierte empört, der grüne Koalitionspartner verschnupft, selbst das Rote Kreuz betont, Freiwilligkeit sei Grundvoraussetzung. Am Sonntag ruderte Sobotka zurück: „Wir bleiben am Weg der Freiwilligkeit.“
Um zu verstehen, worum es in der Debatte geht, hilft es, die Gesamtstrategie anzuschauen, wie sie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in den vergangenen Tagen angedeutet hat.
Derzeit geht es darum, mit den laufenden Einschränkungen die Zahl der Infizierten in Österreich zu senken, um das Vorkommen der Krankheit in Österreich auf ein überschaubares Maß herunterzubekommen – das Virus soll durch die Distanzierung praktisch „ausgehungert“ werden. Dass die Maßnahmen wirken, zeigen die aktuellen Zahlen. Um diesen Trend aufrechtzuerhalten, ruft die Regierung derzeit abermals dazu auf, auch zu Ostern zu Hause zu bleiben.
Kritisch wird es, wenn diese Phase gemeistert und das Vorkommen des Virus auf ein Mindestmaß heruntergedrückt worden ist. Werden alle Maßnahmen sofort total zurückgenommen, würde es sich wieder exponentiell vermehren; nichts wäre gewonnen. Daher bereiten Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Österreicher seit Tagen auf eine längere Übergangszeit, bis es eine Impfung oder Behandlung gibt vor.
Lange Übergangsphase
In dieser Zeit soll das öffentliche Leben schrittweise wieder in Gang kommen: Geschäfte werden wieder geöffnet, Ausgang grundsätzlich erlaubt – aber unter „Begleitmaßnahmen“. Es wird weiterhin Abstand gehalten werden müssen, Mund-Nasen-Schutz allgegenwärtig, Ein- und Ausreise stark eingeschränkt. Und bis wieder Großveranstaltungen möglich sind, wird es noch lange dauern.
Ein Schlüsselfaktor in dieser Phase wird sein, ob Österreich Infizierte und Menschen, die mit ihnen in Kontakt waren, schnell genug isolieren kann, bevor sich das Virus erneut ausbreitet – sonst müsste das Land wieder ganz herunterfahren.
Und da kommt die App ins Spiel: Sie erlaubt es, sich per Handy mit anderen Nutzern zu verbinden – eine digitale Liste zu führen, mit wem man die letzten Tage über in Kontakt war. Wird einer dieser Kontakte Corona-positiv getestet, kann er über die App alle alarmieren, die er angesteckt haben könnte. Wer derart gewarnt wird, begibt sich 14 Tage in Isolation, damit kein neuerlicher Flächenbrand ausbricht. So die Theorie.
Das System hat aber noch viele Lücken: So verbindet sich die App derzeit nur auf Kommando mit anderen – bei Begegnungen im Supermarkt müsste man also aktiv scannen, um andere hinzuzufügen. Das soll sich noch diese Woche ändern, verspricht Rotkreuz-Kommandant Gerry Foitik: „Dann können Kontakte auf Wunsch auch automatisiert gespeichert werden.“
Viele müssten mitmachen
Die größte Herausforderung: Damit das System funktioniert, braucht es viele Teilnehmer – an die zwei Drittel der Bevölkerung, wovon man bei rund 200.000 Nutzern derzeit noch weit entfernt ist.
Derzeit stellt die App datenschutzrechtlich kein großes Problem dar: „Das Gesetz erlaubt so etwas wie die Corona-App, weil sie keine Bewegungen aufzeichnet, sondern nur Verbindungen – und nur lokal in der App“, sagt Datenschutz-Aktivist Max Schrems auf puls24: „Es ist kein zentrales Überwachungssystem.“
Schwierig wird es, wenn eine solche App verpflichtend gemacht würde. Dafür braucht es ein eigenes Gesetz, erklärt Technologierechtsexperte Nikolaus Forgó von der Universität Wien – und dafür zeichnet sich derzeit noch nicht einmal in der Koalition eine Mehrheit ab.
Georg Renner