Wer den Krisenstab, für CNN-Affine den „Situation Room“ der Republik aufsuchen will, ist am Ballhausplatz, wo der Kanzler residiert, an der falschen Adresse. Zwei Ecken weiter, zwischen Außen-, Bildungs- und Integrationsministerium, betritt man den hässlichen Zubau des klassizistischen Palais Modena, wo früher Metternichs Zensurbehörde, heute Innenminister Karl Nehammer residiert. Im zweiten Stock öffnen sich die Tore zu einem schmucklosen Raum, in dem das „Krisen- und Katastrophenschutzmanagement“ versammelt ist.
Krisenstab ohne Weisungsrecht
Österreich funktioniert anders, als der übermäßige Konsum diverser Hollywood-Blockbuster zu US-Politkrisen suggerieren dürfte. Den Vorsitz führt nicht der Kanzler oder der Innenminister, sondern mit Franz Lang der oberste Polizist des Landes. Täglich um 8.30 Uhr kommen Spitzenbeamte aus allen Ministerien zur Lagebesprechung zusammen, gegen 9.30 Uhr werden die Bundesländer dazugeschaltet. Jeder berichtet über den Stand der Dinge, listet Dringlichkeiten auf, man tauscht sich aus, vereinbart Arbeitsaufträge. Juristisch und hierarchisch ist der Krisenstab hingegen im luftleeren Raum angesiedelt. Der Krisenstab ist nichts anderes als ein Koordinationsgremium, Lang besitzt weder Durchgriffs- noch Weisungsrecht.
Kein "War-Room"
Detlef Pollay, der Sprecher des Stabes, vergleicht die Abläufe eher mit einem „Uhrwerk, wo alles eng verzahnt ist, die Räder ineinandergreifen und die Mechanik nur im großen Zusammenspiel funktioniert“. Eine Kommandozentrale, einen „War-Room“, der auch diese Bezeichnung verdient, sucht man in Wien vergeblich.
Isolationsraum im Kanzleramt
Die Fäden laufen auch im Kanzleramt zusammen. Beim Eingang zum gelten ungewöhnliche Zugangsregeln. Jeder muss sich einer Fiebermessung unterziehen – „unabhängig von Funktion und Rang“, wie es in einem internen Papier heißt. Bei einer Temperatur von mehr als 37,5 Grad ist der Person umgehend eine „Atemschutzmaske aufzusetzen“. Die Person sei dann in den „Isolationsraum“ zu bringen, wo abzuklären ist, ob sie heimgeschickt werden kann oder ob bis zur Durchführung eines Corona-Tests – im Ernstfall von Kriminalbeamten, so die schriftliche Anordnung – festzuhalten ist.
Kurz und Kogler bilden einen WG
Sebastian Kurz hat sich mit seinen engsten Mitarbeitern im ersten Stock zurückgezogen. Kabinettschef Bernhard Bonelli, PR-Chef Gerald Fleischmann, Chefstratege Stefan Steiner, Außenpolitikberaterin Barbara Kaudel, Wirtschaftsberater Markus Gstöttner, die Pressesprecher Johannes Frischmann, Étienne Berchtold, Rupert Reif, Bürochefin Lisa Wieser. Mit der Außenwelt wird via Telefon, SMS, per Video kommuniziert. Einmal taucht Angela Merkel am Bildschirm auf, dann alle Minister, an einem anderen Tag die Landeshauptleute. In den letzten Tagen glühten die Leitungen nach Fernost, galt es doch, Beatmungsgeräte und Schutzanzüge zu organisieren.
In der Zwischenzeit haben Vizekanzler Werner Kogler und seine Mitarbeiter zwei Räume im Kanzleramt bezogen, um die Wege abzukürzen. Kurz und Kogler bilden eine türkis-grüne WG. Der Grünen-Chef agiert im Hintergrund und kümmert sich in enger Absprache mit Finanzminister Gernot Blümel um die milliardenschweren Notfallpläne zur Abwendung des ökonomischen Super-GAUs.
Feldbetten bereits aufgestellt
Die Reisetasche steht seit einer Woche im Büro“, erzählt einer der Vertrauten. Sollten der Kanzler, ein Schlüsselminister, ein Mitarbeiter positiv getestet werden, würde das Kanzleramt abgeriegelt und das gesamte Team unter Quarantäne gesetzt werden. Die Feldbetten wurden bereits aufgestellt, die Kochnische würde bei Airbnb oder Booking.com gerade noch als Zwei-Sterne-Standard durchgehen. Unterirdisch ist das Kanzleramt mit der Präsidentschaftskanzlei, dem Innen- und Bildungsministerium verbunden. Mit ordentlichen Duschen ist nur das Innenministerium ausgestattet.
Differenzen in der Einschätzung
Das dritte Krisenzentrum ist im Gesundheitsministerium angesiedelt. Rudi Anschober hat einen 17-köpfigen Beraterstab aus hochkarätigen Virologen, Epidemiologen, Infektiologen, Hygienikern, den Chefs der Ärzte- und Apothekerkammer, von Blaulichtorganisationen, Spitalsverbänden zusammengezogen. Täglich wird evaluiert. Gelegentlich kracht es zwischen Kanzleramt und Gesundheitsministerium in der Einschätzung der Dinge, alle sind jedoch darauf erpicht, dass in Zeiten wie diesen nichts nach außen dringt, vor allem, dass die Differenzen schnell ausgeräumt werden.
Keine Entspannung in Sicht - vorerst
Am Montag will das virologische Dreigestirn gemeinsam mit Kogler eine Zwischenbilanz über die Auswirkungen des zweiwöchigen Ausnahmezustands auf die Ausbreitung der Corona-Seuche ziehen. Hoffnungen auf eine baldige Trendwende sollte sich niemand machen.