"Wir haben das alles auch erst aus dem Fernsehen erfahren.“ Obwohl das Paznauntal und St. Anton zum Tiroler Corona-Hotspot zählen – knapp zwei Drittel der gestern gemeldeten 170 Infizierten stehen im Zusammenhang mit diesen Regionen – kam die gestern um 14 Uhr von Bundeskanzler Sebastian Kurz verkündete 14-tägige Quarantäne mehr als überraschend. „Wir hatten so gut wie keine Info“, berichtet der Kappler Bürgermeister Helmut Ladner.
Und dann ging’s rund. Wer darf rein, wer muss raus? Das Telefon stand nicht mehr still. Bereits kurz danach habe die Polizei mit der Überwachung der Sperrzone angefangen, so Ladner. Hinzugezogen wurde auch das Bundesheer im Rahmen eines Assistenz-Einsatzes. Rund 30 Soldaten sollen eine geordnete Abreise aus den betroffenen Gebieten unterstützen. Der Einsatz ist bis vorerst 16. März geplant.
"Wie in einem schlechten Film"
Die Szenen, die sich zuvor im Paznaun und in St. Anton abgespielt haben, beschreiben Augenzeugen als „wie in einem schlechten Film“. So seien Gäste teils Hals über Kopf aufgebrochen, um noch aus der Sperrzone zu kommen. Manche sogar zu Fuß, den Koffer in der Hand. Bund und Land haben veranlasst, dass Einheimische und österreichische Gäste sowie Mitarbeiter in den Gebieten bleiben, während ausländische Gäste in ihre Heimat zurückkehren müssen. Augenzeugen zufolge nutzten auch österreichische Gäste das Zeitfenster bis zur Einrichtung der Kontrollstelle, um das Sperrgebiet in letzter Sekunde zu verlassen.
Gemeindeübergreifend leben derzeit rund 9500 Einwohner in den betroffenen Quarantänegebieten im Oberland, hieß es gestern vonseiten des Landes. Hinzu kommen allein im Paznaun rund 8000 Gäste, die sich zumindest gestern dort noch aufhielten, darunter 200 bis 300 aus Österreich. In St. Anton beziffert Bürgermeister Helmut Mall die Zahl der Gäste gestern mit mehreren Tausend, geschätzte 200 davon Österreicher. Hinzu kommen noch einmal rund 1000 Tourismus-Angestellte.
Zwischenstopps verboten
Alle Nicht-Österreicher werden bei der Ausreise mit einem Zertifikat registriert und unter Auflage, keinen Zwischenstopp einzulegen, durchgelassen. Die jeweiligen Heimatländer werden über deren Rückreise informiert. Anschließend stehe für sie Hausquarantäne auf dem Programm. Alle anderen dürfen die Quarantänezone für 14 Tage nicht verlassen. Auch nicht die österreichischen Gäste. Am Coronavirus erkrankte Personen werden vor Ort abgesondert.
„Das wird eine große, harte und herausfordernde Aufgabe“, sagt der Galtürer Bürgermeister und Landtagsvizepräsident Anton Mattle am Telefon zur TT: „Aber es ist im Sinne unser aller Gesundheit – das ist unser höchstes Gut.“ Eine allgemeine Hausquarantäne im Tal gebe es nicht, so Mattle. Innerhalb der Zone sei die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt. Auch wenn ebenso geraten wird, die sozialen Kontakte einzugrenzen. „Gelassen sind die Leute nicht mehr – ich sehe viele mit Sorgenfalten auf der Stirn“, schildert Mattle. Eine häufige Frage: Wie geht es nach der Quarantänezeit weiter? Was die medizinische Versorgung sowie jene mit Lebensmitteln betrifft, sei alles geregelt, sagt Mattle. Im Paznaun verfüge jedes Dorf über einen engagierten niedergelassenen Arzt.
Das anfängliche Info-Defizit beklagt auch der Bürgermeister von See, Anton Mallaun. Dennoch könne er derzeit in der Bevölkerung „keine Riesen-Beunruhigung“ erkennen. Wie es nun die kommenden Tage im Paznaun weitergehen werde – das sollte noch gestern Abend bei einem Treffen von Bürgermeistern und Funktionären im Tal besprochen werden. Wichtig sei insbesondere eine geordnete Abreise der ausländischen Gäste.
"Hätten gern Vorlauf gehabt"
In St. Anton reisen viele erst heute ab. Auch dort traf die Nachricht völlig unvermittelt ein, wie Bürgermeister Helmut Mall gegenüber der TT erklärt. „Uns wäre schon sehr geholfen gewesen, wenn wir ein, zwei Stunden Vorlauf gehabt hätten“, sagt Mall. Kurzzeitig herrschte nach Bekanntgabe der Quarantäne ziemliches Chaos.
Die Stimmung im Ort beschrieb der Bürgermeister gestern in den Abendstunden als „bedrückend. Dass wir durch Naturgefahren abgeschnitten sind, kennen wir. Aber so eine Situation, wie wir sie jetzt erleben, ist natürlich neu für uns.“ Heute müsse noch abgeklärt werden, wie jene Gäste, die nicht ausreisen dürfen, betreut und verpflegt werden.
Volles Verständnis für die Maßnahmen der Regierung hat Skilegende Karl Schranz: „Wir werden das überleben. Wichtig ist, dass wir in St. Anton gelassen bleiben und die Situation akzeptieren. Mir ist lieber, es wird eine Maßnahme zu viel als eine zu wenig gesetzt.“ Die Gesundheit, so Schranz, sei das höchste Gut und stehe über allem.