Zwischen den Regierungsparteien ÖVP und Grüne herrscht weiterhin Uneinigkeit über den richtigen Umgang mit der Migrationsbewegung im Grenzbereich zwischen der Türkei und Griechenland. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Mittwoch dem Appell von Bundespräsident Alexander Van der Bellen für die Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere Frauen und Kindern, eine Absage erteilt. "Unsere Linie als Bundesregierung ist klar, nämlich keine zusätzliche freiwillige Aufnahme in Österreich", sagte Kurz bei einem Medientermin mit den Sozialpartnern zum Coronavirus in Wien.
"Österreich ist unter den am stärksten belasteten Ländern der Europäischen Union. Es gibt kaum ein Land weltweit und schon gar nicht in Europa, das pro Kopf mehr Flüchtlinge aufgenommen hat", argumentierte Kurz. "Insofern plädiere ich dafür, dass wir zunächst einmal die gut integrieren, die jetzt schon hier sind. Wir haben zum Beispiel 30.000 arbeitslose Asylberechtigte, wo es gut wäre, die in den Arbeitsmarkt zu bringen."
Absage an Van der Bellen
Kurz verwies auch auf die "Zahlen". "Wir haben allein im letzten Jahr über 10.000 Menschen aufgenommen. Insofern haben wir im letzten Jahr allein einige Tausend Frauen und Kinder aufgenommen. So wird es auch in diesem Jahr sein", so Kurz. In den vergangenen fünf Jahren seien es insgesamt 200.000 Asylanträge gewesen, davon zehntausende Frauen und Kinder.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte am Dienstagabend im ORF-"Report" gesagt, dass Österreich in der aktuellen Flüchtlingskrise in der Türkei bzw. Griechenland sich "in bestimmtem Ausmaß" an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen solle. Kinder und Frauen sollten dabei Priorität haben, äußerte er Unterstützung für die Haltung von Grünen-Chef Werner Kogler. So lange zumindest auf ersten Blick ein Asylgrund gegeben sei, sollte Österreich Flüchtlinge aufnehmen. Er erinnerte auch daran, dass viele Asylunterkünfte hierzulande wieder leer stünden. Man habe die Situation im Griff, sagte Van der Bellen zu den Folgen des Flüchtlingsandrangs 2015, wenn es auch Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt gebe.
Anschober: "Gemeinsame grüne Meinung"
Der grüne Sozialminister Rudolf Anschober steht zu den unterschiedlichen Auffassungen seiner Partei mit dem Koalitionspartner ÖVP, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft. "Das ist unsere gemeinsame grüne Meinung", sagte er am Mittwoch vor dem Ministerrat. Zentraler Punkt sei, das sich die Bundesregierung auf erste Schritte209 bei der humanitären Hilfe in den betroffenen Gebieten geeinigt habe.
"Da haben wir eine unterschiedliche Meinung und das kann man so stehen lassen", verteidigte Anschober die grüne Linie, die etwa Parteichef und Vizekanzler Kogler vorgegeben hatte. Dieser will betroffene Kinder und Frauen notfalls nach Österreich bringen lassen. Unterstützung hatte Kogler dabei auch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen erfahren, der sich für ein solches Vorgehen "in bestimmtem Ausmaß" ausgesprochen hatte.
Anschober schloss sich der Meinung des Bundespräsidenten nun "zu 100 Prozent an". Die Flüchtlingssituation auf der griechischen Insel Lesbos bezeichnete er als schwierig und prekär. Hier sei Handlungsbedarf für Europa gegeben.
Trennlinie auch im Ministerrat
Die Trennlinie zwischen Türkis und Grün in der Flüchtlingspolitik hat sich am Mittwoch auch durch den Ministerrat gezogen. Während Frauenministerin Susanne Raab und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) betonten, Österreich habe bereits viele Frauen und Kinder in Asylverfahren, zeigte sich Justizministerin Alma Zadic (Grüne) gewillt, notfalls weitere freiwillig ins Land zu holen.
Einigkeit gab es weiterhin bei der bereits beschlossenen humanitären Hilfe vor Ort. Raab betonte zudem im Pressefoyer nach der Regierungssitzung, es sei wichtig, die Außengrenze zu schützen. Den Vorschlag der Grünen, Kinder und Frauen ins Land zu holen, lehnte auch sie mit dem Argument ab, dass dies aus Integrationssicht nicht gut sei. Noch immer sei man in diesem Bereich mit den Herausforderungen der letzten Flüchtlingskrise beschäftigt.