Wann haben Sie entschieden, die Vertrauensfrage zu stellen?
PAMELA RENDI-WAGNER: Das ist eine hochpersönliche Entscheidung gewesen, die ich Anfang der Woche getroffen habe.

Was war das Motiv?
Die letzten 14 Monate seit der Wahl zur Parteivorsitzenden waren eine Achterbahnfahrt, es war auch eine schwierige Zeit für die Partei, für mich. Die Sozialdemokratie konnte nicht ihre Stärke in der politischen Auseinandersetzung entfalten, weil die Selbstbeschädigung stark im Vordergrund stand. Für mich war bald klar: So kann es nicht weitergehen.

Haben Sie je überlegt, alles hinzuschmeißen?
Nein, das habe ich nicht. Ich bin eine Kämpferin und will die Sozialdemokratie wieder auf die Überholspur bringen.

Unter Selbstbeschädigung verstehen Sie die Querschüsse aus den Ländern?
Es waren Querschüsse, Intrigen, falsche Gerüchte, die in die Welt gesetzt worden sind mit dem moralischen Tiefpunkt vor Weihnachten, als gezielt das Gerücht gestreut wurde, ich würde zurücktreten. Dieser respektlose Umgang schwächt uns als politische Bewegung.

Was sind die Gründe für die Querschüsse?
Der respektlose Umgang innerhalb der Partei ist nichts Neues. Einer der Tiefpunkte war das Pfeifkonzert gegen Werner Faymann am 1. Mai 2016. So darf man nicht miteinander umgehen. Die Sozialdemokratie hat die Aufgabe, für soziale Gerechtigkeit, für faire Chancen zu kämpfen und sich nicht in Selbstbeschädigung zu ergehen. Die SPÖ täte gut daran, nach außen mit einer Stimme zu sprechen. Wenn es nach mir geht, ist es die Stimme der Mitglieder.

Sind die Querschläge nicht Ausdruck der internen Unruhe? Das Wahlergebnis war eher unterirdisch, die Umfragen sind katastrophal.
Wir alle, Funktionäre und Mitglieder, sind die Partei. Die Unterstützung der Mitglieder gibt der SPÖ Kraft. Ich möchte, dass die SPÖ wieder zu eine Fortschrittsbewegung wird, daher müssen wir uns öffnen, etwa mit dem integrativen Element der Mitgliederbefragung. Ich möchte wegkommen vom Strukturkonservativismus. Das ist kein einfacher Weg, wir müssen ihn gehen.

Sie gehen einen Schulterschluss mit der Basis gegen die Parteihierarchie ein?
Das sehe ich nicht so. Wir müssen den Mut haben, uns zu öffnen, und dürfen keine Furcht vor den Mitgliedern haben.

Wenn es im Vorstand keine Mehrheit für die Idee der Vertrauensfrage gegeben hätte, hätte Sie Konsequenzen gezogen?
Ich habe mir das nicht überlegt. Ich war zuversichtlich, dass ich die Mehrheit bekomme, weil wir beschlossen hatten, die Mitgliederbefragung zu machen.

Das Ergebnis war knapp. Was wäre gewesen, wenn ihr Vorschlag abgeschmettert worden wäre?
Dann hätte die Sitzung länger gedauert, weil es mehr Gesprächsbedarf gegeben hätte.

Warum haben Sie den Vorstand mit dem Vorschlag überrumpelt? Weil Sie kein Vertrauen in die Parteigranden haben?
Die Vertrauensfrage ist eine hochpersönliche Entscheidung, die mir niemand abnehmen kann, bei der mich niemand beraten kann. Viele haben gemeint, es sei nicht notwendig, weil ich ohnehin das Vertrauen genieße. Meine Antwort war: Es gibt keinen falschen Zeitpunkt, die Mitglieder einzubeziehen.

Ist die Vertrauensfrage nicht ein Akt der Verzweiflung?
Ich bin die erste Vorsitzende in der 130-jährigen Geschichte der SPÖ, die diesen Schritt geht. Es ist an der Zeit, dass die Mitglieder auch bestimmen, wer an der Spitze ihrer Bewegung steht. Es ist ein Akt des Mutes, ein zeitgemäßer Schritt in Richtung einer Mitgliederpartei.

Kramp-Karrenbauer hatte auch die Vertrauensfrage gestellt und ist jetzt Geschichte. Sie ist keine Garantie gegen ein vorzeitiges Aus?
Der Vergleich ist nicht zutreffend, sie hat die Frage in einer Rede vor Delegierten gestellt und dann Applaus bekommen, ich werbe um die Zustimmung der 160.000 Mitglieder.

Wie viele Mitglieder müssen teilnehmen, damit das Ergebnis ein politisches Gewicht hat? Es macht einen Unterschied, ob 10.000 oder 80.000 hingehen?
Es liegt an uns allen, an den Partei- und den Landesorganisationen, dass wir eine hohe Beteiligung haben. Es wird ein Gradmesser sein, wie gut wir in der Mobilisierung sind.

Wenn sich wenige beteiligen, sind die Landeschefs schuld?
Es war Konsens, dass jeder in seinem Bereich für eine hohe Teilnahmerate sorgt.

Die Wiener SPÖ scheint nicht sehr glücklich über den Zeitpunkt zu sein?
Ich bin überzeugt, dass die Befragung ein starkes Aktivierungspotenzial zu Beginn des Wiener Wahlkampfes ist, die für uns alle eine sehr wichtige Wahl ist.

Die inhaltlichen Fragen sind mit Verlaub No-na-Fragen?
Es sind konkrete Forderungen. Wir wollen eine Schwerpunktsetzung erreichen, also herausfinden, was den Mitgliedern wichtig ist, um uns später auf diese Themen zu fokussieren.

Sollten Sie das Vertrauen bekommen, gehen Sie davon aus, dass Sie als Spitzenkandidatin in die Wahl gehen?
Ich bekomme bei jedem Interview diese Frage gestellt.

Der Hintergrund ist, dass Doskozil diesen Automatismus in Abrede stellt?
Der formale Ablauf ist klar. Jetzt kommt einmal die Mitgliederbefragung, dann gibt es 2021 den Parteitag. Mit ausreichend Zustimmung sind die Weichen gestellt. Diesen Weg gehen wir Schritt für Schritt.