Sie sind Sozial-, Gesundheits-, Pflege-, Konsumentenschutz- und Tierschutzminister, aber die Arbeitsmarktpolitik kommt in ein anderes Ressort. Schlimm für Sie?

RUDOLF ANSCHOBER: Es ist wie es ist. Wir haben aber gerade im Bereich Arbeitsmarkt im Regierungsübereinkommen sehr klare Vereinbarungen getroffen, daher mache ich mir keine Sorgen.

Unter Türkis-Blau war die Sozialpolitik ein ständiger Reibebaum. Unter welches Motto stellen Sie Ihr Wirken?

Ich möchte dieses Haus zu einem Ministerium für Zusammenhalt weiterentwickeln, mit dem Ziel, Spaltungen und Gräben zu überwinden. In den letzten Jahren wurde von Teilen der Poltik suggeriert, es gehe dir besser, wenn es anderen schlechter gehe. Ich will hin zu einem Bewusstsein, dass es einem selber besser geht, wenn es auch dem anderen besser geht.

Wie halten Sie es mit den Sozialpartnern?

Wir werden im Februar einen großen Österreich-Dialog starten, mit hunderten Besuchen bei Betroffenen und PflegerInnen. Ich werde mich mit den Sozial-und GesundheitsreferentInnen austauschen, auch mit der Zivilgesellschaft. Ende März wollen wir eine Bewertungsgrundlage auf Basis von Wissen und Erfahrung haben. Das ist die Vorarbeit zur Gründung der Task Force Pflege, einer zentralen Steuerungsgruppe, mit Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Experten. insgesamt soll es eine Allianz für eine neues Miteinander werden: Wer sich einbringen will, dem stehen die Türen des Sozialministeriums offen.

Als Ressort werden wir, anders als die Vorvorgängerin das gelebt hat, die Sozialpartnerschaft wieder wertschätzen, wir werden sie allerdings erweitern um die Zivilgesellschaft als gleichberechtigten Partner. Das Signal des Dialogs richtet sich auch an die anderen Parteien. Ich strecke meine Hand aus in alle Richtungen. Am Anfang meiner Tätigkeit steht das Zuhören.

Die neue Zivilgesellschaft – machen Sie da aus der Not eine Tugend, weil sie die Expertise dieser Menschen ganz dringend brauchen?

Ich bin 2015 von der Zuständigkeit für Asyl und Migration überrascht worden, manche haben gemeint, da werde ich nichts weiterbringen. Damals habe ich genau dasselbe gemacht, eine Steuerungsgruppe gegründet, in der inzwischen 32 verschiedene Organisationen vertreten sind. Unser Arbeitsvorgang bis zum heutigen Tag war und ist, dass alle zwei Wochen evaluiert wird, wo es Baustellen gibt, was können wir weiterbringen. Da ist ein Team entstanden, da wird an einem Strang gezogen.

Müssen sich die Österreicher davor fürchten, dass der Pflegeheim-Regress wieder kommt?

Nein.

Dürfen sie hoffen, dass der Regress auch für die ambulante Betreuung fällt?

Da kann ich mich noch nicht festlegen, das werden wir in Ruhe prüfen.

Aber das bewirkt eine Verlagerung zur teuren Heimpflege, oder?

Ja, das ist mir bewusst, aber ich kann’s nicht heute entscheiden.

Aber, dass es zu einer Pflegeversicherung kommt ist fix…

Es wird keine klassische Pflegeversicherung so wie in Deutschland werden.

Also keine private Versicherung, sondern die Pflegeversicherung als Teil der Sozialversicherung?

Zuerst kommt die Analyse, dann kommen die Lösungsvorschläge. Für mich persönlich  ist jedenfalls klar: Die Finanzierung wird zum allergrößten Teil aus öffentlichen Geldern erfolgen.

Gibt es in fünf Jahren quer durch Österreich den gleichen Pflegeanspruch für alle?

2070 werden 42 Prozent der Bevölkerung älter als 65 sein. Das ist eine gigantische Herausforderung. Jeder will gesund älter werden. Die Prävention ist für mich der Schlüssel.

Ich bin selbst durch ein Tal gewandert, vor sieben Jahren. Ich weiß, wie sich das anfühlt, und ich weiß, dass man daraus auch etwas lernen kann . Was ich selbst gelernt habe, war, dass ich eine Balance in meinem Leben brauche. Dazu gehören bei mir meine täglichen Laufeinheiten, die zehn Minuten in der Früh für Qigong, das Einkaufen am Markt samt Kochen einmal pro Woche.

Brauchen andere ein Anreizsystem, etwa eine Zuckersteuer?

Das Bewusstsein beginnt im Kopf und nicht in der Geldbörse. Vom immer erhobenen Zeigefinger halte ich wenig.

Bei der Umweltpolitik sind Sie aber schon für finanzieller Druck,  oder?

(lacht) Ja. Da haben sich freiwillige Vereinbarungen als Fehlkonstruktion herausgestellt, aber es war auch nicht der einzelne am Zug, sondern die Vereinbarungen wurden mit der Wirtschaft abgeschlossen, da überwogen die finanziellen Interessenslagen. Im anderen Fall geht es um das persönliche Leben jedes Einzelnen.

Auf ihrem Schreibtisch liegt das heiße Eisen der Hacklerregelung...

Wir erwarten Zusatzkosten von 600 Millionen Euro. Für heuer ist das nicht mehr korrigierbar, aber die Alterssicherungskommission soll sich unabhängig und objektiv anschauen, wie die Praxis ausschaut, in Bezug auf die Nutzer, die Verteilung, und auf die Wirkung auf die Geschlechter. Ende März werden wir uns die Details anschauen, die die Alterssicherungskommission auf den Tisch legt. Wozu haben wir sie sonst? Darauf aufbauend werden Entscheidungen getroffen.

Stichwort Pensionssplitting: Sind Sie für eine freiwillige oder für eine verpflichtend Variante?

Wir haben noch auf keine Position einigen können. Ein Kardinalthema ist die Kinderarmut, ein anderes die Armut der Frauen im Alter. Beides müssen wir drastisch reduzieren.

Warum ist zur Sozialhilfe Neu kein Satz im Regierungsübereinkommen zu finden?

Das Verfassungsgerichtshofurteil kam zu spät. Ich habe eine Rechtsbewertung in Auftrag gegeben. Wir schauen jetzt, ob es eine Minimallösung auf Bundesebene geben soll oder, wie früher, eine Regelung auf Länderebene. In beiden Fällen muss es eine Richtlinienregelung mit Blick auf die Kinderarmut geben.  Die Steuerreform hilft uns da auch, 500.000 armutsgefährdete Personen werden davon profitieren, auch die Erhöhung des Familienbonus hilft, sowie das beschleunigte Unterhaltsverfahren. Anfang Februar wird es ein informelles SozialreferentInnentreffen geben, wo wir darüber diskutieren, wie wir damit umgehen und wie wir der Kinderarmut begegnen.

Noch einmal zur Sozialhilfe Neu: Sind Sie für eine bundeseinheiltiche Regelung oder für länderweise Regelungen?

Bis Ende Jänner werden wir und die Länder Klarheit haben . Ich tendiere in Richtung der Länderregelungen, wie der Kanzler.

Obwohl es durch die bessere Regelung zu einer Wanderung nach Wien kam?

Ich habe mit vielen Betroffenen gesprochen, habe zuletzt ja selbst in diesem Bereich gearbeitet. Die Antwort war ganz stark, dass die Community nach Wien lockt, nicht das Geld. Das dreht sich aber ohnehin gerade um, weil es einfach leichter ist, als Asylberechtigter, einen Job in Tirol oder in Oberösterreich zu bekommen, als in Wien.

Wie stehen Sie zur Bindung der Sozialhilfe an eine Integrationsvereinbarung?

Einsicht ist meiner Erfahrung nach besser als Zwang, aber da werden wir noch viel diskutieren. Der neue Stil: Es wird nicht mehr blockiert, und nicht drüberfahren, sondern wir werden uns zu guten Lösungen finden.

Sie bringen morgen im Ministerrat eine erste Pflege-Offensive ein Was ist das genau?

Wir brauchen geschätzt zusätzliche 75.500 MitarbeiterInnen in der Pflege bis zum Jahr 2030. Und wir haben immer weniger junge Leute, die für eine Ausbildung in Frage kommen. Das heißt wir müssen das Berufsbild und die Ausbildung verbessern. Zusätzlich zum Pflegeassistenten und zum Pflegefachassistenten starten wir am Mittwoch einen Schulversuch für die bisherige Lücke, die 15-Jährigen, die eine Pflege-Lehre mit Matura machen. Das ist eine spannende, neue Option. Der Schulversuch startet im September, die Standorte werden vom Bildungsministerium gerade ausgeschrieben.