Das türkis-grüne Bündnis hat seine ersten Gehversuche unfallfrei gemeistert. Die Bilder der Angelobung verströmten Herzlichkeit. Man hatte nicht den Eindruck zweier „Welten“. Der Krawattenverzicht Werner Koglers war eher eine Geste ans eigene Gestern als ein Ausdruck aufsässiger Verweigerung. Man hat den grünen Parteichef selten mit so angespannt feierlicher Miene erlebt wie bei seiner Ernennung zum Vizekanzler. Ein solcher Moment war in seiner politischen Biografie so nicht vorgesehen. Vermutlich ist ihm das vor der imperialen Tapete erst so richtig bewusst geworden: die Erinnerung daran, welchen Zauber die Unwägbarkeiten des Lebens entfalten können.
Auch die Regierungserklärungen und Debatten im Hohen Haus boten leidenschaftliche Reden und lebendigen Parlamentarismus. Gleichwohl spürte man das Fremdeln zwischen den Regierungsparteien. Verstärkt wurde der Eindruck durch das allzu häufige Betonen dessen, wie sehr man sich unterscheide, und wieder war von den gegensätzlichen „Welten“ und „Kulturen“ die Rede, als entstamme man fremden Galaxien und nicht denselben bürgerlichen Elternhäusern. Vielleicht waren das notwendige Signale an die eigenen Milieus, aber man sollte sie langsam beenden. Eine Partnerschaft, in der ständig von „Leiden“ die Rede ist und die den Eindruck zulässt, dass man sich füreinander schämt, wird sich nach innen kaum festigen und nach außen keine dauerhafte Strahlkraft entwickeln können. Also: Schluss mit der Schmerz-Prosa!
Es sind Selbstbespiegelungen. Rot und Schwarz schossen aufeinander, Türkis und Grün haben nur Schauriges übereinander erzählt. Relevant ist jetzt das, was beide an gemeinsamer Gestaltungskraft zustande bringen, auch im Interesse jener Generation, die dieses Jugendstil-Kabinett so gewinnend verkörpert. Die vorige Regierung litt an einer Überdosis Marketing, die jetzige an Unterversorgung. Es fehlt ihr die eine große Erzählklammer.
Sie wird sich ohne Befreiung aus dem eigenen Gehäuse nicht spannen lassen. Die Abwehr der Klima-Bedrohung wird hoffentlich auch der ÖVP, Urheberin der Idee eines ökosozialen Marktes, ein schmerzfreies Anliegen sein. Und wenn die Grünen so beseelt davon sind, die FPÖ von der Macht fernzuhalten, wird das nur gelingen, wenn sie sich jenen Themen öffnen, die den Blauen den hohen Zuspruch bescherten. Sonst bleibt der Wunsch falsche Erhabenheit. Man kann für eine kontrollierte Migrationspolitik sein und trotzdem ein geistig offenes, humanes Land bleiben. Und Wachsamkeit gegenüber der Bildung von Submilieus ist ein Gebot und kein Zeichen antimuslimischer Gesinnung.
Fragen der Identität müssen für beide ein Thema sein. Sie definiert sich nicht über Herkunft, sondern über das Bekenntnis zu den Standards und Grundsätzen des Rechtsstaates. So erwachsen Zugehörigkeit und vieles mehr. Alma Zadić, das Flüchtlingskind, kann davon erzählen: Das Land hat Grund, stolz auf sie und auf sich zu sein.