Ihr Vorgänger Eduard Müller war mehr als zwei Jahrzehnte Finanzbeamter, Hartwig Löger Manager in einem der größten Versicherungskonzerne des Landes. Was qualifiziert Sie zum Finanzminister?
Gernot Blümel: Die Bewertung meiner Person überlasse ich anderen. Ich habe schon mehrere Budgets mit dem Finanzministerium verhandelt und mit ihm koordiniert, da kriegt man schon sehr viel mit und ich kenne das Ressort aus meiner langjährigen politischen Tätigkeit.
Als was würden Sie als Finanzminister gerne in Erinnerung bleiben: Als der, der den Leuten mehr Netto im Börsel gelassen hat, oder als der, der weiterhin keine neuen Schulden gemacht hat?
Als der, der beides gemacht hat.
Aber wenn es darauf ankommt?
Ich will beides schaffen.
Wirtschaftsforscher gehen alleine bei der Steuerreform von Kosten von ca. fünf Milliarden Euro im Jahr aus, mit der Senkung von Lohn- und Einkommenssteuer und Körperschaftssteuer. Derzeit haben wir ein knappes Nulldefizit. Woher soll denn der Spielraum dafür kommen?
Ich finde die Skepsis bemerkenswert. Warum? Seitdem ich begonnen habe, Politik zu machen, habe ich mir immer gedacht, es kann doch nicht sein, dass der Staat ständig mehr ausgibt, als er einnimmt – und es kann doch nicht sein, dass der Staat den Menschen immer mehr aus dem Geldbörsel herausnimmt. Ich habe mir damals geschworen, wenn ich einmal politisch tätig bin, will ich das anders machen. Wir haben schon mit Türkis-Blau gezeigt, dass beides möglich ist: ein ausgeglichener Haushalt und gleichzeitig Steuern zu senken.
Auch unter Türkis-Blau hat der Staat mehr ausgegeben als im Jahr davor. Er hat nur gleichzeitig auch mehr eingenommen, weil die Wirtschaft brummte.
Es geht darum, mit der ständigen Schuldenpolitik, die jahrzehntelang geherrscht hat, Schluss zu machen. Also nicht mehr auszugeben, als man einnimmt. Diesen Kurs setzen wir auch in dieser Regierung fort.
Das klingt ja gut, aber die Frage war, woher soll der Spielraum für die Steuerentlastung kommen, ohne Schulden zu machen?
Man braucht natürlich Steuereinnahmen dazu. Wir wollen eine Standortpolitik machen, die zu stabilem Wachstum führt – dann haben wir niedrige Arbeitslosigkeit, das schont das Budget, weil es dann weniger Sozialausgaben braucht. Auf der anderen Seite gibt es mehr Steuereinnahmen, und wenn man dann noch darauf achtet, dass die Ausgaben weniger stark steigen als die Inflation, dann ergibt sich ein Delta, mit dem viel möglich ist.
Magna droht, bei CO2-Steuern abzuwandern. Geht sich die Balance Ökologie und Standort aus?
Wir haben das in den Koalitionsverhandlungen diskutiert, weil wir beides unter einen Hut bringen wollen und müssen. Viele geplante Investitionen sind auch von Wirtschaftsforschern so qualifiziert worden, dass sie Wachstumsimpulse bringen. Es darf nicht dazu kommen, dass Arbeitsplätze in Österreich verloren gehen.
Im Regierungsprogramm ist von einem ausgeglichenen Budget über den Konjunkturzyklus die Rede. Heißt das, dass Klimainvestitionen ein Sonderposten werden, zum Beispiel über Schulden, die die ÖBB aufnehmen?
Das wäre nicht sinnvoll. Entweder macht der Staat Schulden oder er macht keine Schulden. Wir wollen, dass er keine Schulden macht, deswegen muss er mit dem Geld, das er hat, auskommen. In Österreich ist der Grundkonsens eigentlich eine keynesianische Wirtschaftspolitik – stabile Finanzen, wenn es keine Rezession gibt, um im Krisenfall auch intervenieren zu können. Man hat nur Keynes nie ernst genommen und ständig mehr ausgegeben, auch wenn Hochkonjunktur war.
Auch unter vielen ÖVP-Finanzministern.
Nicht mehr unter diesem und dem letzten.
Was netto von der Steuerentlastung bleibt – nimmt uns der Staat das nicht gleich durch neue Maßnahmen wie die Pflegeversicherung und die CO2-Bepreisung wieder weg?
Nein, am Ende des Tages muss es eine Entlastung sein, und zwar eine ehrliche. Es kann nicht sein, dass der Staat in die eine Tasche etwas hineingibt und auf der anderen Seite etwas herausnimmt.
Eher vage angekündigt im Regierungsprogramm ist die Abschaffung der „kalten Progression“. Die kostet den Bürger jedes Jahr ein paar Hundert Millionen Euro. Haben Sie dieses Geld für die nächsten Jahre schon verplant?
Ihre Frage vorhin war, dass sich das alles nicht ausgehen kann, jetzt fragen Sie, ob wir das schon verplant haben oder nicht? Es ist natürlich ein Gesamtpaket. Die Abschaffung wird evaluiert und ist weiterhin unser Ziel. Wir müssen schauen, dass das mit einem ausgeglichenen Haushalt vereinbar ist.
Im Regierungsprogramm steht, das Pensionssystem zeichne sich „durch Sicherheit und Klarheit aus“. 2017 hat Sebastian Kurz noch gesagt, „jeder, der rechnen kann, weiß, wenn wir da nicht nachschärfen, wird sich das auf Dauer nicht ausgehen“. Was ist in diesen zwei Jahren passiert, dass das Pensionssystem jetzt auf einmal sicher und stabil ist?
Weil die Finanzen im Staat stabil sind. Man kann sich natürlich Mehrausgaben leisten, wenn man insgesamt solide Finanzen hat, und das haben wir über die Budgetpolitik der letzten Jahre sichergestellt. Im Programm steht aber auch, dass wir weiterhin das faktische Pensionsantrittsalter an das gesetzliche angleichen wollen.
Sie haben angekündigt, im Wiener Gemeinderatswahlkampf als Spitzenkandidat anzutreten. Wie gehen sich Ministerium und ein Wahlkampf nebeneinander aus?
Über die Frage bin ich auch immer wieder überrascht. Ich kenne kaum einen Spitzenpolitiker, der in einen Wahlkampf geht und seine exekutive Funktion zurücklegt. Michael Ludwig legt auch nicht den Bürgermeister zurück, um als SPÖ-Spitzenkandidat in die Wahl zu gehen. Das ist gang und gäbe, dass beides möglich ist, und das wird es auch bei mir sein.
Sehr wahrscheinlich, dass Sie dann einen Platz im Gemeinderat hätten. Was wären Sie lieber? Finanzminister oder Gemeinderat?
Es geht darum, dass wir Wien neu regieren. Das ist das große Ziel, und da ist die Möglichkeit so groß wie seit hundert Jahren nicht, dass sich Entscheidendes tut in Wien. Aber zuerst sind die Wählerinnen und Wähler am Wort.
Für den Wähler könnte ja durchaus relevant sein, ob Sie dann hierbleiben wollen oder im Wiener Gemeinderat – oder vielleicht Bürgermeister oder Vize werden.
Lassen Sie sich überraschen. Das letzte Jahr hat gezeigt, dass in der Politik vieles möglich und wenig prognostizierbar ist.
Georg Renner