Noch ist das Personaltableau nicht komplett, über das Koalitionsabkommen weiß man noch nichts, allerdings zeichnen sich erste Konturen des türkis-grünen Experiments ab. Wenig überraschend kristallisiert sich eins heraus: ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler haben zwar auf Augenhöhe miteinander verhandelt, auch deren Teams gingen, was man so hört, respektvoll miteinander um.
Türkis-Grün wird auf Basis des Wahlergebnisses und des Kräfteverhältnisses im Parlament eine höchst ungleiche Koalition. Von den 97 Abgeordneten stellt die ÖVP knapp drei Viertel (71 Mandate, also 73,2 Prozent), die Grünen etwa mehr als ein Viertel der Mandatare (26 Mandate, also 26,8 Prozent). Eine so ungleiche Koalition gab es in Österreich erst zweimal seit 1945: Fred Sinowatz (1983) und Wolfgang Schüssel-2 (2002/03).
Schräglage bei Ministerien
Die Schräglage zeichnet sich bereits bei der Ministerliste ab. Während sich die Grünen mit vier Ressorts (Werner Kogler als Vizekanzler, Leonore Gewessler für Umwelt, Rudi Anschober für Soziales, Alma Zadic für Justiz) und einem Staatssekretär begnügen müssen, dürfte die ÖVP zehn, wenn nicht sogar elf Minister stellen (Sebastian Kurz, Gernot Blümel/Finanz, Elisabeth Köstinger/Agrar, Margarete Schramböck/Wirtschaft, Karl Nehammer/Innen, Klaudia Tanner/Verteidigung, Heinz Faßmann/Bildung, Karoline Edtstadler/Europa, Susanne Raab/Integration, Außen/noch unbekannt sowie ein Steirer, eine Steirerin).
Kompetenzmäßig steigen die Grünen nicht schlecht aus – mit dem Superministerium, in dem Umwelt und Infrastruktur gebündelt sind, dem Gesundheits- und Sozialressort, der Justiz. Ein Verhältnis von elf zu vier Ministern würde dem Mandatsverhältnis ziemlich genau entsprechen.
Der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik, der an der Wiener Uni auf dem Gebiet der Koalitionsbildung forscht, zeigt sich im Gespräch mit der Kleinen Zeitung wenig überrascht davon. „Wir beobachten mit ganz wenigen Ausnahmen fast immer im Zuge von europäischen Koalitionsregierungen, dass die Regierungssitze proportional zu den Mandaten im Parlament aufgeteilt werden. Aus der Arithmetik ergibt sich ganz klar, dass sowohl bei den Ressorts als auch bei den Inhalten die ÖVP-Linie stärker durchkommt als die Linie der Grünen.“
Kogler: "Kompromiss darf nicht denunziert werden."
Wie ausgeprägt die grüne Handschrift in dem offenbar mehr als 200 Seiten dicken Koalitionsvertrag ausfällt, bleibt offen. Türkis und Grün halten das Kompendium unter Verschluss. Grünen-Chef Werner Kogler hat in einem internen Mail an die Kompromissfähigkeit der 276 Delegierten, die am Samstag über das Abkommen zu befinden haben, appelliert. „Auch wenn sich nicht alle Punkte wie ein grünes Wahlprogramm lesen“, schreibt Kogler. „Demokratie heißt auch, Kompromisse nicht zu denunzieren. Das hat noch nie mehr gegolten als heute im Angesicht der Klimakrise.“ Sprich: Es sei immer noch besser, im Zeitalter der Klimakrise als Juniorpartner einige wenige Punkte im Umweltbereich durchzusetzen, statt in Opposition zu gehen, null zu bewirken und Türkis-Blau-2 zu erwarten.
"Grüne Basis wird die Krot schlucken"
„Es ist klar“, erklärt Ennser-Jedenastik, „dass Kogler der Basis nicht ein astreines grünes Regierungsprogramm, sondern einen Kompromiss vorlegen wird“. Das würden viele Delegierte verstehen, kämen sie vielfach aus Ländern und Gemeinden, wo ohnehin mit der ÖVP kooperiert werde. „Natürlich wird es einige Dinge geben, wo man die Krot schlucken muss.“ Darauf ziele Koglers Kommunikation ab. „Man wird zunächst einmal erfahren, was für tolle, grüne Erfolge da drinnen stehen, und vielleicht wird es etwas länger dauern, bis man draufkommt, dass doch nicht alles so nach grüner Linie passiert.“ Doch auch Ennser-Jedenastik rechnet mit einem deutlichen Votum.
Übereinstimmung von Wahlversprechen und Ministerien
Entscheidend sei die inhaltliche Schwerpunktsetzung. „Wir wissen aus der Forschung, dass Wahlversprechen eher umgesetzt werden, wenn die Partei, die das versprochen hat, auch das Ministerium bekommt.“ Insofern sei es sinnvoll, wenn die Grünen etwa das Umwelt- und Klimaschutzministerium erhalten. „Grün-Wähler sind eher bereit, bei Steuern Zugeständnisse zu machen, solange es eine Ökologisierung gibt. ÖVP-Wähler nehmen Klimamaßnahmen in Kauf, solange bei Budget, Steuern, Migration ihre Linie beibehalten wird.“