ARMIN THURNHER: Macht Türkis-Grün die Welt besser? Es macht sie zumindest weniger unerträglich. Was etwas anderes bedeutet als besser erträglich. Sicher weniger amateurhaft, wenn ich den legistischen Dilettantismus der vorletzten Regierung betrachte. Andererseits hält sich das Weltverbesserungspotenzial einer österreichischen Regierung in Grenzen. Das Kabinett Bierlein ist so beliebt, weil es das Nichtstun zum Regierungsprogramm erhoben hat. Türkis-Grün wird gestalten wollen, es kann also nur schlimmer werden.

MICHAEL FLEISCHHACKER: Wenn ich Sie richtig verstehe, lieber Thurnher, wäre Ihnen am liebsten, wenn eine Regierung gar nichts tut; wenn sie irgendetwas tut, ist das der erste Schritt ins Verderben, und wenn sie nicht das tut, was Sie und der wohllebige Rest des Spätrevolutionarismus tun, wird es unerträglich.

Ich weiß nicht, wie man die Regierungsform nennen müsste, die hier angesprochen wird, aber mit Demokratie hat das, meine ich, relativ wenig zu tun. Muss es ja auch nicht. Wie sagte Roger Hallam, Mitgründer der Extinction Rebellion, so schön: Wenn die Demokratie nicht dafür sorgt, dass passiert, was passieren muss, müssen wir eben über die Demokratie nachdenken.

THURNHER: Ja, in Satz eins haben Sie mich richtig verstanden. Volksphilosophisch betrachtet ist eine Regierung, die nichts tut, einer vorzuziehen, die etwas tut, so, wie eine Uhr, die steht, einer, die eine Minute vorgeht. Denn die stehen gebliebene Uhr zeigt wenigstens zweimal an Tag die richtige Zeit an. Die Bezeichnung „wohllebig“ akzeptiere ich gern, den „Spätrevolutionarismus“ muss ich leider zurückweisen.

Ich bin, wie Sie wissen, Kapitalist und Unternehmer, hege allerdings die Ansicht, dass der Kapitalismus gründlich verbessert und ordentlich eingehegt werden muss. Ob das Türkis-Grün schaffen wird?

FLEISCHHACKER: Oh, ich denke, was die Einhegung des Kapitalismus angeht, werden es uns Türkis und Grün an nichts fehlen lassen, weil die nämlich schon einzeln mit dem, was man sinnvollerweise unter Kapitalismus verstehen könnte, relativ wenig Berührungspunkte haben. Wenn zwei unterschiedlich stark antikapitalistisch geprägte Parteien – die einen korporatistisch orientiert, die anderen kollektivistisch – eine Koalition eingehen, muss man sich, glaube ich, vor einem radikalkapitalistischen Blitzkrieg gegen das gemütliche Lebensmodell von Wien-Neubau nicht fürchten.

Aber ich muss gestehen, dass Ihr Uhren-Bild mich sehr beeindruckt. Besser kann man die österreichische Mentalität wahrscheinlich nicht beschreiben: Lieber zwei Mal am Tag pünktlich zur Essensausgabe als ständig eine Minute seiner Zeit voraus.

THURNHER: Stimmt irgendwie auch nicht ganz, denn die Uhr geht ja täglich eine Minute mehr vor, und irgendwann holt sie die Zeit dann wieder ein … Die korporatistische Ausrichtung der ÖVP ist mir übrigens entgangen. Haben die Kurzisten doch die Sozialpartnerschaft entmachtet, die Arbeiterselbstverwaltung in der Sozialversicherung erledigt und in der Klimafrage vor lauter (Agrar-)Industriefreundlichkeit Österreich auf einen der letzten Plätze in der EU versetzt.

Und der grüne Kollektivismus ist doch durch individuellen Karrierismus so stark gemäßigt, dass ich, der ich als Kollektivist meine Unternehmerlaufbahn begann, ihn nicht mehr mit freiem Auge erkenne. Wo, bitte, sehen Sie da einen Antikapitalismus?

FLEISCHHACKER: Ich hab mit dem Kapitalismus nicht angefangen, lieber Thurnher, das waren Sie, Sie haben sich, wenn ich mich richtig erinnere, so etwas wie türkis-grüne Wildhüter für ihn gewünscht (klingt nach einer hübschen Neu-Interpretation des Jägerlodens, daraus machen die vielleicht sogar noch was). Expliziten Antikapitalismus sehe ich nirgendwo, dazu sind die Herrschaften, glaube ich, nicht ausreichend theorieinteressiert. Die glauben, wie Ihre journalistische Enkelgeneration, dass man einfach Kapitalismus sagen muss, wenn man nicht mehr weiterweiß, dann weiß irgendwie jeder, was man meint, oder zumindest, wer schuld ist.

In Österreich davon zu sprechen, dass wir einen radikalen Marktliberalismus hätten, der erst eingehegt werden müsste, ist wirklich sehr weit jenseits der Grenze zum Lächerlichen. Aber es ist eine gute Story für Türkis und Grün: Man kann einfach so weitermachen wie bisher und behaupten, beide hätten sich ein großes Stück bewegt.

THURNHER: Na ja, lieber Fleischhacker, wir kennen ja Ihre Neigung zum breitflächigen Pinsel, was Neoliberalismus betrifft. Für Sie ist vermutlich selbst Hayek noch ein Kryptokommunist. Ich habe nicht von Marktliberalismus gesprochen, sondern vom Kapitalismus. Ganz im Ernst: Die Sozialdemokratie scheitert gerade daran, dass sie keine moderne Version eines sozialen Kapitalismus zeichnen kann. Arbeiter wollen den 12-Stunden-Tag, wenn er die Drei-Tage-Woche bedeutet.

Der Kapitalismus der ÖVP ist teilkorporatistisch, da haben Sie recht, er vertritt die widersprüchlichen Interessen einzelner Gruppen, von den Bauern bis zur Industrie. Die Grünen haben kein Modell außer vagen Ideen von einer industriellen Ökotechnik-Avantgarde. Bei beiden sehe ich keinerlei gesellschaftliche Idee eines humanisierten Kapitalismus.

FLEISCHHACKER: Man muss den Kapitalismus nicht humanisieren, er ist schon human, mehr als jede andere Idee von Wirtschaft und Gesellschaft, aber sei’s drum. Die Frage war ja, ob Türkis-Grün die Welt besser macht, und ich würde sagen: Nein. Türkis-Grün hat mit der Welt nicht besonders viel zu tun. Es ist nur ein besonders schönes Beispiel dafür, dass Franz Josef Strauß recht hatte, als er sagte: Man muss seine Grundsätze so hoch halten, dass man aufrecht darunter durchgehen kann.

THURNHER: Die witzigen Reaktionäre sind leider ausgestorben. Geblieben sind unerträgliche Clowns. Das clowneske Element ist derweil bei uns durch Ibiza kurzfristig zurückgedrängt worden. Ich denke auch, die schönen Hoffnungen, die viele mit Türkis-Grün verbinden, werden enttäuscht und durch eine neue Variante von Grabenkampf als Regierungsform ersetzt werden. Ob das etwas mit einer ÖVP zu tun hat, die alles andere außer Alleinherrschaft als unangemessen betrachtet?

FLEISCHHACKER: Come on, Thurnher, gegen den ideologischen Alleinherrschaftsanspruch von politischen Geisterfahrern wie Michel Reimon und Sigi Maurer sind die angeblich so sinistren türkisen Machttechniker nur Elektrikerlehrlinge in der Schaltzentrale der österreichischen Gemütlichkeit. Und um diesen ganzen Zirkus zu einer präsentablen Vorstellung zu machen, wird man ziemlich viele Beruhigungsmittel auf allen Seiten brauchen. Schlaf gut, Österreich.

THURNHER: Anspruch und Wirklichkeit klaffen da etwas auseinander, würde ich meinen. Der grüne Realismus heißt Werner Kogler. Aber Schaltzentrale der österreichischen Gemütlichkeit ist gut. Unterschätzen würde ich die Lehrlinge nicht, der Lehrlingsputsch in der ÖVP war machttechnisch beachtlich. Aber ich bin froh, dass man uns zwei in die Zentrale nicht reinlässt, sonst würden die FI-Schalter permanent fallen!

FLEISCHHACKER: Wir werden sehen. Ich denke, dass die Welt Türkis-Grün sehen wird, besser wird sie davon nicht werden. Aber es wird ja auch keine fünf Jahre dauern.