So wortkarg, einsilbig, kurz angebunden hat man Politiker noch selten erlebt. Angesichts der jüngsten Enthüllungen über Umfärbungen bei den Casinos, den Goldschatz in der Osttiroler Alpenfestung, Ibiza-Verhaftungen und verräterische Telefonprotokolle hat sich der Fokus der Medien von der Frage, wie Österreich künftig regiert wird, wegbewegt. Die schmallippigen Statements von Sebastian Kurz und Werner Kogler haben noch dazu einen abschreckenden Charakter.
Dass über den Fortgang der Verhandlungen so gut wie nichts nach außen dringt, mag so manchen Beobachter verärgern, ist allerdings ein Indiz, mit welcher Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit geredet wird. Dass bei 120 (!) Verhandlern die Vertraulichkeit gewahrt bleibt, grenzt in einem Land, wo beschlagnahmte Unterlagen bald nach einer Hausdurchsuchung den Weg an die Öffentlichkeit finden, an ein Wunder.
"Wir reden von früh bis spät"
Aufbauend auf zahllosen informellen Gesprächen und Telefonaten lässt sich ein grobes Bild über den Stand der Dinge skizzieren. Seit einer Woche wird in den 33 Untergruppen intensiv verhandelt. Ein Politiker, der in mehreren Gruppen angesiedelt ist, meint: „Wir reden von früh bis spät, fast ohne Unterbrechung.“ Auch andere machen ähnliche Erfahrungen. Der Unterschied zu den Sondierungen, die sich wie ein Strudelteig hingezogen haben, kann nicht größer sein.
Wenig überraschend erschöpfen sich die Aktivitäten nicht in stundenlangen Debatten über Grundsatzfragen, man arbeitet bereits an konkreten Formulierungen für ein etwaiges Koalitionsabkommen – angesichts der inhaltlichen Differenzen eine Herkulesaufgabe. „Was uns trennt, wissen wir ohnehin“, so einer der Beteiligten. „Deshalb sitzen wir nicht zusammen.“ Nach Abschluss der jeweiligen Gesprächsrunde werden die sechs Chefverhandler – Leonore Gewessler, Rudi Anschober, Alma Zadic, Josef Meichenitsch, Birgit Hebein, Sigrid Maurer bei den Grünen, Margarete Schramböck, August Wöginger, Karl Nehammer, Elisabeth Köstinger, Harald Mahrer, Wolfgang Sobotka bei den Türkisen – von den Untergruppen über den Fortgang der Gespräche im Detail informiert.
Mehr Interesse bei den Grünen
Gerühmt wird neben dem vertrauensvollen Klima die Ernsthaftigkeit der jeweiligen Gegenseite: „Wir sind nicht auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern nach dem größten gemeinsamen Vielfachen“, umschreibt einer der Verhandler. Seit zwei, drei Wochen wird man allerdings einen Eindruck nicht los: Die Grünen scheinen an einem Abschluss mehr interessiert zu sein als die ÖVP, die Türkisen behalten sich die blaue Hintertüre offen. Dem Vernehmen nach könnte in ein bis zwei Wochen, um den Nikolo- oder Krampustag herum, die Vorentscheidung fallen, ob die Schnittmenge groß genug ist, um die Verhandlungen trotz aller Hürden zu Ende zu führen.
Noch vor Weihnachten könnte weißer Rauch aus dem Winterpalais aufsteigen. Türkis-Grün ist die wahrscheinlichste, aber nicht die einzige Option. Auf die Frage, ob die ÖVP vielleicht nur Scheinverhandlungen führt, meint ein Grüner: „Das wissen wir erst, wenn die ÖVP vom Tisch aufsteht.“
Wie schwierig der Spagat ist, deutet Ex-Staatssekretärin und Mitverhandlerin Karoline Edtstadler an: „Ich bin guter Dinge, dass wir die Verhandlungen zum Abschluss bringen und das Abkommen eine bürgerliche Handschrift trägt.“ Bürgerliche Handschrift? „Natürlich muss die ÖVP Kompromisse eingehen, es muss aber auch der Wählerwille repräsentiert sein. Keine Partei darf ihr Gesicht verlieren.“ In der Migrationspolitik klingt Edtstadler wie eh und je.