„Es gibt keine Garantie für ein Gelingen, diese Verhandlungen können an Kleinigkeiten scheitern“, sagte Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle von der FH Kärnten im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Der einstimmige Beschluss aus den grünen Reihen und schwarzen Ländern bzw. Bünden für Koalitionsverhandlungen sei auf alle Fälle der beste Start, den man sich denken kann. Außerdem genieße diese Koalitionsvariante bei der Bevölkerung seit der Wahl hohe Zustimmung, auch im Ausland. „Wenn aber einer der zwei die Lust am Verhandeln verliert, findet sich schnell der Hebel, um das Ganze platzen zu lassen“, glaubt Stainer-Hämmerle. Für die ÖVP wäre eine Minderheitsregierung mit Duldung der Freiheitlichen auch eine „nette Variante“, solange die FPÖ nicht den Stecker ziehe.
Praprotnik: "Am weitesten weg sind die Grünen"
Für die Grünen als kleinerer Koalitionspartner werde es spannend, wie sie das eigene Gesicht wahren können, sagte Katrin Praprotnik von der Donau-Universität-Krems. „Gegen den Status-quo anzukämpfen ist nämlich wie wir aus Forschungsergebnissen wissen schwierig. Und der Status-quo wurde durch Schwarz-Blau festgeschrieben. Am weitesten davon weg sind die Grünen.“ Wie der Wirtschaftsflügel der ÖVP mit einem verträglichen Programm bedient werden kann, werde eine zentrale Bedeutung haben, glaubt Praprotnik. Ohne einen Teil der Wählerschaft zu verschrecken, werde es kaum gehen - „auf beiden Seiten“. Wie ein Koalitionsabkommen aussehen könnte, sei ein „Glaskugel-lesen“, eine „Interpretationsleistung“. Eines ist sicher: „Alles, was im Koalitionsabkommen steht– auch das wissen wir aus der Forschung – wird auch eher umgesetzt“.
Hofer: "Kogler als Außenminister?"
Politologe Thomas Hofer glaubt, dass es ein Maß an „Kreativität“ brauchen wird, um die Reformen der ÖVP und Kurz nicht auszuhebeln. Man denke zum Beispiel hypothetisch an ein Außenministerium für den potenziellen Vizekanzler Kogler mit Mitteln zur Fluchtbekämpfung oder eine Ergänzung der bestehenden Mindestsicherung um ein Kinderarmutsbekämpfungspaket. Der gemeinsame Weg zwischen Türkis-Blau sei jedenfalls „einfacher“: in Punkte Migration wurde nicht gestritten. Jetzt gäbe es schon deutliche Divergenzen. „Man muss die Grünen dort drinnen leben lassen, anderseits darf man die Reformen der ÖVP, die unter Kurz aufstieg, nicht über Bord werfen.“ Sehr viele FPÖ-Wähler haben bei der letzten Wahl ÖVP gewählt. Auf alle Fälle laufe die Kommunikation bis jetzt professionell ab.
Hajek: "Wählern kein X für ein U vormachen"
Auch Meinungsforscher Peter Hajek räumt den Verhandlungen „gute“ Chancen ein, „weil es an attraktiven Alternativen mangelt.“ Die Grünen würden sich noch etwas leichter tun, weil sie ja beim Scheitern einfach in Opposition gehen könnten. Die ÖVP müsste dann mit einer wackeligen SPÖ oder einer unberechenbaren FPÖ koalieren. Knackpunkte werden sicherlich die Bepreisung von Umweltschutz als großes Anliegen der Grünen, und die Migration, sagte Hajek. Wichtig sei für beide Parteien ihren Markenkern zu behalten, „da liegt ein Schlüssel für die Verhandlungen.“ Wenn die Grünen einen verhältnismäßig großen Erfolg vermelden, dann werde man sich auch beim Thema Migration/Integration näher kommen können, glaubt Hajek. Ein Scheitern ist wenig wahrscheinlich, „außer wenn ein Partner das Gefühl hat, er verändert sein politisches Inneres.“ Wichtig wird – und das hat damals Schwarz-Blau beim Rauchverbot vorgemacht – eine offensive Kommunikation. Man dürfe den Wählern nicht ein X für ein U vormachen. Klare Botschaften wie „Hier haben wir uns bewegt, hier der Partner“ sind wichtig, sagte Hajek.
Norbert Oberndorfer