Sowohl Grüne als auch ÖVP haben sich entschlossen, über eine gemeinsame Regierungskoalition zu verhandeln - "ergebnisoffen", wie beide betonen. Während sich das Verhältnis der beiden Parteien in den wochenlangen Sondierungen zuletzt deutlich gebessert hat - "Wenn man Menschen begegnet, verändern sich die Bilder im Kopf" attestierte etwa die grüne Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein - liegen inhaltlich noch massive Differenzen vor den Verhandlern.
Fünf Punkte aus den Parteiprogrammen, bei denen es in den kommenden Wochen noch krachen könnte:
1. Fahnenfrage Asyl und Migration
Für die ÖVP war Migration - genauer gesagt, der Kampf gegen illegale Einwanderung und für den Erhalt einer "österreichischen Identität" das Erfolgsrezept der vergangenen Jahre. Die Ablöse von Reinhold Mitterlehner durch Sebastian Kurz und der folgende Sieg bei der Nationalratswahl 2017 hat auf dem klaren Kurs ("ich habe Balkanroute geschlossen") bei diesem Thema gefußt.
Im Wahlprogramm der ÖVP nimmt der Kampf gegen illegale Migration den allerersten Platz ein, unter anderem damit, dass der EU-Außengrenzschutzes im Mittelpunkt der europäischen Politik stehen soll. Die Grünen dagegen träumen in ihrem Wahlprogramm von einem gemeinsamen EU-Asylsystem, Förderung von Arbeitsmigration und Integration.
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Unterm Strich gibt es aber hier auch Raum für Gemeinsamkeit, etwa bei "Hilfe vor Ort" und "Fluchtursachen bekämpfen", wo sich beide Parteien für mehr Einsatz Österreichs aussprechen. Gut möglich, dass hier am Ende vor allem die atmosphärische Frage übrigbleibt, wie man über Asyl und Migration spricht, statt tatsächlicher inhaltlicher Differenzen.
2. Kinderarmut und Mindestsicherung
Auch im Zusammenhang mit dem Migrationsthema hatte die türkis-blaue Koalition die Reform der Mindestsicherung beschlossen, die vor allem bei großen Familien eine Kürzung bedeutet. Auch die Anpassung der Familienbeihilfe für EU-Ausländer an die Kaufkraft ihrer Heimatstaaten setzte die Regierung Kurz unter dem Titel "Stop der Zuwanderung ins Sozialsystem" um.
Die ÖVP will diese Maßnahmen ihrem Programm zufolge "konsequent weiter umsetzen" - und das Sozialsystem mit einer "Taskforce" auf weitere Pull-Faktoren und Missbrauchsmöglichkeiten durchforsten.
Das passt kaum mit dem grünen Ziel zusammen, "Kinderarmut zu bekämpfen" - unter diesem Titel fordern sie nicht nur eine Korrektur der Mindestsicherungs-Reform, sondern noch mehr Geld für alle Kinderzuschläge im Sozialsystem.
3. CO2, Klima und sagen Sie niemals Steuer dazu
Gerade acht Mal kommt das Wort "Klima" im ÖVP-Programm vor - und da nur als unverbindliches "Staatsziel", das man in Sachen CO2-Neutralität bis 2045 in die Verfassung schreiben will sowie als CO2-Zölle und Abgaben nur dann, wenn sie EU-weit umgesetzt würden.
Das grüne Wahlprogramm enthält dagegen eine Fülle von Vorschlägen aus dem Klimabereich - ganz nach dem Motto "jedes Thema ist ein Klimathema" erklärt ein Info-Kasten in jedem Kapitel, wie die Klimakrise etwa in Bildung, Sicherheit usw. hineinspielt.
Größter Knackpunkt in diesem Bereich wird wohl die Frage, ob und wie Österreich Klimaschädlinge zur Kasse bittet, also ob eine nationale CO2-Steuer eingehoben wird - oder ob das am ÖVP-Mantra "keine neuen Steuern" scheitert.
Einen möglichen Kompromiss könnte die Regierung Bierlein hinterlassen: Unter der im jüngst veröffentlichten Klimaplan enthaltenen Option "Ausweitung des CO2-Zertifikatehandels" könnte ein marktwirtschaftlicher Preis für Treibhausgase beschlossen werden.
4. Was tun mit dem Bundesheer?
Größer als die Unterschiede zwischen ÖVP und Grünen könnten die Positionen zum Bundesheer kaum sein. Während die ÖVP sich vor der Volksbefragung über die Wehrpflicht 2013 voll für diese ins Zeug legte und nun eine Senkung der Tauglichkeitskritierien fordert, um mehr junge Männer (als "Schule des Volkes") in den Grundwehrdienst zu bringen, stehen die Grünen dem derzeitigen Heer skeptisch gegenüber.
"Die Grünen sind weiter für die Abschaffung der Wehrpflicht (...). Darüber hinaus soll das Bundesheer auf das absolut notwendige Maß verkleinert werden", heißt es im grünen Wahlprogramm.
Wie es im Fall einer Koalition mit dem Bundesheer weitergeht - dem die Übergangsregierung jetzt schon desolate Zustände attestiert - wäre damit völlig offen.
5. Was hilft der Wirtschaft?
Unterschiedliche Schwerpunkte zeichnen sich auch bei der Frage ab, wie die beiden Parteien dem kommenden Wirtschaftsabschwung begegnen wollen.
Die ÖVP sieht das größte Hemmnis für die Wirtschaft in der Belastung von Unternehmen und Arbeitnehmern durch hohe Steuern; sie will daher - wie schon unter türkis-blau geplant - die untersten drei Stufen der Einkommensteuer von derzeit 25/35/42 Prozent auf 20/30/40 Prozent absenken, die kalte Progression abschaffen und die Abgabenquote auf 40 Prozent oder darunter drücken.
Für die Grünen ist dagegen eine "Ökologisierung der Steuerstruktur" primär; zwar soll ebenfalls der Faktor Arbeit entlastet , klimaschädliches Verhalten aber teurer werden werden. Auch setzen die Grünen auf ein "Wirtschaften jenseits des Wachstumszwangs". Statt reiner Orientierung am BIP-Wachstum fordern die Grünen, den Wohlstand auch an anderen Zahlen zu messen, etwa an der Entwicklung der Beschäftigung, der Treibhausgasbilanz oder der Lohnentwicklung (Schere zwischen Mann und Frau) oder am Gini-Index, der Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen misst.
Georg Renner