Am Montagnachmittag treten nach dem schlechtesten Ergebnis der SPÖ in der Geschichte der Zweiten Republik - die aktuelle Hochrechnung sagt ihnen nur noch 21,7 Prozent der Stimmen voraus - die Parteigremien zusammen. Um 14 Uhr tagt in den Parlamentscontainern am Heldenplatz das 18-köpfige Präsidium, danach tritt der wesentlich größere Parteivorstand zusammen. Schon im Vorfeld brodelt es: der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer hat angekündigt, bis auf weiteres nicht an den Bundesgremien mitwirken zu wollen.

Auch wenn die Parteispitze um Pamela Rendi-Wagner und Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda am Wahlabend erklärt hat, es werde keine personellen Konsequenzen geben: Drozda hat bereits am Vormittag erklärt, sich als Geschäftsführer zurückzuziehen.

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Hier sind fünf Fragen, die sich die SPÖ nach diesem Ergebnis stellen muss.

1. Opposition oder Regierung?

Die SPÖ hätte ausreichend Mandate, um gemeinsam mit der ÖVP eine stabile Regierungsmehrheit zu bilden - und die ideologischen Differenzen zwischen den Parteien wären grundsätzlich nicht unüberwindbar, hat man doch jahrzehntelang miteinander regiert.

Ob die SPÖ sich der ÖVP überhaupt als deutlich kleinerer Partner andienen möchte, scheint dieses Mal aber fraglich. Das letzte Mal, dass in einer (ehemals) "Großen Koalition" die ÖVP die stärkere Partei war, liegt mit der Regierung unter Kanzler Josef Klaus mehr als 50 Jahre zurück. SPÖ-Granden wie der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozilhaben bereits erklärt, die SPÖ sollte sich in der Opposition neu aufstellen: "Das ist kein Regierungsauftrag, das ist ein Desaster", sagt Doskozil in "Heute". Andere Landeschefs wie Tirols Georg Dornauerfinden dagegen sehr wohl, die Partei sollte eine Regierung unter ÖVP-Chef Sebastian Kurz anstreben. 

Dagegen spricht vor allem Atmosphärisches: Kurz und seine türkise Mannschaft haben sich vor allem als Alternative zum alten rot-schwarzen Kurs mit seinen tief zerstrittenen Koalitionen inszeniert - und dabei viel böses Blut geschaffen. Die intensiven parlamentarischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre - mit dem Gipfel in dem von der SPÖ angeführten Sturz Kurz' Ende Mai - haben beiderseits Spuren und Gräben hinterlassen - hier etwa ein Tweet von Kurz' Kommunikationschef:

  Fraglich, ob diese Gräben so schnell zuzuschütten wären, um bald wieder eine arbeitsfähige Koalition zu bilden.

Dafür spricht, dass die SPÖ weder ihrem Selbstverständnis noch ihrem derzeitigen Personal nach eine Oppositionspartei ist: Alleine die vergangenen Monate mit vielen SP-getriebenen Beschlüssen im "freien Spiel der Kräfte" im Nationalrat haben gezeigt, wie sehr es den Sozialdemokraten nach Mitbestimmung dürstet.

2. Wer ist eigentlich unsere Zielgruppe?

Die SPÖ ist schon lange keine Arbeiterpartei mehr, so sehr sie sich selbst noch als solche sehen will. Wie die Analyse des Wahlergebnisses durch die Meinungsforscher von SORA und Peter Filzmaiers Unternehmen ISA zeigt, wählte die Hälfte der Arbeiterinnen und Arbeiter in Österreich auch heuer wieder die FPÖ - auf die SPÖ entfiel nicht einmal mehr ein Viertel der Stimmen aus diesem Milieu.

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Wesentlich stärker als bei ihrem Gesamtergebnis sind die Sozialdemokraten dagegen nur noch bei einer Gruppe: Den Pensionisten, bei denen sie auf 31 Prozent der Stimmen kamen - auch dort allerdings abgeschlagen, klar auf zweitem Platz hinter der ÖVP mit 45 Prozent.

3. Soll Pamela Rendi-Wagner Chefin bleiben?

Der Elefant im Raum: Pamela Rendi-Wagner war, vorsichtig formuliert, kein besonders starkes Zugpferd im Kampf um die Wählerschaft. Sebastian Kurz und seine Auftritte wurden in der Wahltagsbefragung von 36 Prozent der ÖVP-Wähler als Hauptmotiv genannt, der Volkspartei die Stimme zu geben, Beate Meinl-Reisinger für die Neos-Wähler sogar von 42 Prozent. Bei der SPÖ war Rendi-Wagner gerade einmal für neun Prozent das wichtigste Motiv.

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Das ist zu wenig in einer Polit-Landschaft, die immer stärker auf Spitzenkandidaten fokussiert (wie Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik etwa jüngst gegenüber der Kleinen Zeitung argumentiert hat); zumindest, wenn man auf absehbare Zeit wieder Chancen haben will, stärkste Partei zu werden.

Ein Grund, warum die Ärztin und Spitzenbeamtin - sie war erst der Partei beigetreten, als Christian Kern sie 2017 als Gesundheitsministerin in die Regierung holte - trotzdem Parteichefin bleiben könnte: Es findet sich sonst niemand, der einerseits bereit wäre, den Job zu machen - und andererseits in der Lage wäre, zumindest mit allen Flügeln der Partei von Wiener Linken bis burgenländischen FPÖ-Koalitionären arbeiten zu können. 

Eine logische Alternative, Ex-Ministerin und Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, hatte sich nach Christian Kerns chaotischem Abschied 2018 jedenfalls entschlagen, als sie Parteigrößen gebeten hatten, zu übernehmen.

4. Wie halten wir es mit der Migration - und mit der FPÖ?

Der Umgang mit der Migrationswelle 2015 hat die SPÖ bei der Nationalratswahl 2017 das Kanzleramt gekostet - und zahlreiche Wähler, denen zwischen dem Law-and-Order-Kurs Doskozils und dem wesentlich aufnahmefreudigeren etwa der Wiener SPÖ nicht klar war, wofür die Sozialdemokratie in dieser entscheidenden Frage eigentlich steht. Ein Dilemma, das bis heute nicht gelöst ist.

Die Folge: Wähler, für die das Thema Migration und Folgefragen wie die Mindestsicherung ein entscheidendes Wahlmotiv waren, wandten sich Parteien mit klarerem Profil zu: links den Grünen, rechts der FPÖ.

Mit letzterer hat die SPÖ auch weiterhin ihre Schwierigkeiten: Während Rendi-Wagner im Bund und Michael Ludwig in Wien eine Kooperation kategorisch ausgeschlossen haben, koaliert Doskozil im Burgenland sowie viele SPÖ-Bürgermeister weiter mit den Freiheitlichen. Das ist kommunikativ und strategisch schwierig, weil es die Partei - etwa auch mit Blick auf bevorstehende Landtagswahlen - um Koalitionsoptionen bringt.

5. Die grüne Gretchenfrage

Wesentlich einfacher tut sich die SPÖ politisch in der Zusammenarbeit mit den Grünen - allerdings besteht bei ihrem derzeitigen Kurs massive gegenseitige Kannibalisierungsgefahr. Wie die Wählerstromanalysen der Wahlen 2017 und 2019 zeigen, konnte Christian Kern sein 27-Prozent-Ergebnis nur halten, weil er die Grünen ausräumte - und diese so aus dem Nationalrat flogen.

Umgekehrt ist ein signifikanter Anteil des SPÖ-Verlustes diesmal darauf zurückzuführen, dass Stimmen zu den Grünen zurückgewandert sind. Fast ein Drittel der grünen Stimmen kommt von Leuten, die 2017 SPÖ gewählt hatten:

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Wie man diesem grünen Vormarsch begegnet - vor allem bei jüngeren Wählern und in den Städten (in Wien ist die ÖVP inzwischen auf fünf Prozentpunkte an die SPÖ herangerückt, weil diese so viele Stimmen an die Grünen verloren hat) -, Stichworte Klimawandel und Sozialpolitik, darauf hat die SPÖ bisher noch keine Antwort gefunden.