Im drückend heißen SPÖ-Zelt an der Löwelstraße gerinnt die trostlose Gleichgültigkeit zur Schockstarre, als die erste ORF-Hochrechnung den Kurz-Triumph und die historische SPÖ-Niederlage an die Leinwand wirft. Erst zur Ibiza-Implosion der FPÖ brandet Applaus auf, lautstark jubelt man den Grün-Wählern hinterher.
Nachdem die SPÖ nach lähmender Durststrecke sogar noch unter 22 Prozent gesunken ist, richtet sich die sozialdemokratische Anhängerschar an ihrer strahlend winkenden und links und rechts umarmend einziehenden Parteichefin auf: „Ihr wart großartig“, ruft Pamela Rendi-Wagner ins Parteipublikum. Mit tosenden „Du warst großartig“-Chören dankt die Menge für den schmalen Rand über den bei noch tieferen 20 Prozent hungernden Umfragewerten.
„Es waren und sind die richtigen Themen für die Menschen, und es werden auch weiter die richtigen Themen sein“, richtet Rendi-Wagner den Blick aller nach vorne, um das historisch schlechteste Nationalratswahlergebnis der SPÖ als Talsohle zu markieren: „Heute ist eine Zwischenstation. Dieser Weg geht weiter.“ Das semantisch Verfängliche geht im stürmischen Jubel unter, auch bei Heinz Fischer, der im Gedränge kleiner Funktionärinnen und Funktionäre heftig applaudiert.
Kern-Déjà-vu
Die Selbstaufrichtung – ein Déjà-vu. 2017 wurde Christian Kern für 26,9 Prozent und 0,1 Prozentpunkte Zugewinn gegenüber Werner Faymann 2013 mit „Yes we Kern“-Rufen trotz der Niederlage gegen Sebastian Kurz gefeiert. Nun beträgt beim vorläufigen Tiefstand der SPÖ von 21,8 Prozent der Rückstand zur ÖVP (37,2 Prozent) bereits über 15 Prozentpunkte.
"Keine Personaldiskussion"
Gleichwohl stehen die Parteigranden hinter „Pam“. „Rendi-Wagner hat Außerordentliches im Wahlkampf geleistet. Wie ich die Stimmung in der SPÖ kenne, schließe ich personelle Diskussionen aus“, sagt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (siehe Interview). 2017 hatte für Kern noch die Wiener SPÖ unter Michael Häupl die Wende gebracht – „Mei Wien is net deppert.“ Jetzt rannten die Wähler zu Grün zurück. Auch der Kärntner Landeshauptmann und Parteiobmann-Stellvertreter Peter Kaiser will „keine Debatte über Personen“. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda sieht „personelle Konsequenzen bereits vor zehn Monaten gezogen“.
All dies hörte man auch bei Kern, ein Jahr später war er als Parteichef Geschichte. Doch während Kern am Wahlabend müde und angeschlagen wirkte, demonstrierte Rendi-Wagner Zähigkeit auch im Augenblick der Niederlage und bekräftigte den „Weg der Menschlichkeit“.
"In der Opposition angekommen"
Am Freitag rief die SPÖ-Spitzenkandidaten dies noch zum Wahlschluss an der Rückseite des Burgtheaters aus, in dem Martin Kušejs Faust mit einer Frau als Mephisto Premiere hatte. „Werd ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön ...“ Doch Rendi-Wagner bleibt eher kein Pakt. „Die SPÖ ist jetzt in der Opposition angekommen“, ist für Astrophysiker Werner Gruber sternenklar.
„Wir konnten uns trotz Ibiza-Skandal der FPÖ und Wahlkampfkostenskandal der ÖVP nicht als Alternative darstellen und müssen jetzt die politische Glaubwürdigkeit wiederherstellen“, schließt SJ-Chefin Julia Herr Mitregieren aus. „Mit Sebastian Kurz wird jede Regierung eine des Sozialabbaus.“ Die kleine SJ-Demo vor dem Zelt mit Transparent für Glaubwürdigkeit statt Regierungsposten würde in jedem „Fridays for Future“-Zug untergehen.
Die SPÖ habe Themen emotional nicht rübergebracht, glauben Ludwig und Kaiser. „Der Wahlkampf war zu seicht“, sagen die Jungen. Ein Pensionist seufzt: „Mit tun die Jungen leid. Wir erlebten noch die Absolute mit Bruno Kreisky, nun setzt es laufend Niederlagen.“
Adolf Winkler