Die Sache nahm wenige Tage nach dem Jahreswechsel in einer Kanzlei unweit des Cafés Prückel ihren Ausgang. Ein hochrangiger Polizist hatte dem neu ernannten Generalsekretär im Innenministerium, Peter Goldgruber, einen Termin bei einem bekannten Anwalt vermittelt. Dieser wolle ihm „etwas Wichtiges“ übergeben. Bei dem Treffen wurde dem Steirer ein sieben Monate zuvor verfasstes 40-seitiges Papier übergeben.
In dem anonymen Anzeigenkonvolut, das an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) adressiert ist, werden zahllose vermeintliche oder tatsächliche Missstände im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) aufgelistet, darunter die Veruntreuung von Geldern aus Geiselbefreiungen, die rechtswidrige Einflussnahme auf Ermittlungsverfahren, die illegale Speicherung von Daten, der Verrat von Amtsgeheimnissen bis hin zu Nötigung und Beweismittelvernichtung.
"Im Innenministerium aufräumen"
Die Vorwürfe waren nicht neu. Die WKStA hatte die Ermittlungen längst aufgenommen, mangels Beweisen gestaltete sich die Arbeit eher schleppend. Auch Herbert Kickl kannte die Vorwürfe aus seiner Zeit als Generalsekretär, Journalisten war das Papier ebenso zugespielt worden. Doch die Lage war eine neue. Für den freiheitlichen Innenminister bot sich die Möglichkeit, im Ministerium, das seit dem Jahr 2000 in schwarzer Hand war, endlich umzurühren. In ihrem Tagebuch hält die zuständige BVT-Staatsanwältin fest, Goldgruber habe ihr enthüllt, „er habe vom Minister den Auftrag, das Innenministerium aufzuräumen“. Kickl sei der Ansicht, das Ministerium sei „derzeit so korrupt wie noch nie“. Die„Hauptprotagonisten der kriminellen Organisation“ hätten es verstanden, „die internen Strukturen so zu gestalten, dass sich die Macht in den Händen einiger weniger konzentriert“. Worauf Kickl seine Erkenntnisse stützt, ob sie auf Beobachtungen oder Verschwörungstheorien beruhen, bleibt offen.
"Weniger Tempo"
Dann nahm die Entwicklung ihren Lauf. In seinem 293-seitigen Bericht, der heute veröffentlicht wird, kommt der unabhängige, überparteiliche Verfahrensrichter Eduard Strauss, übrigens der Urgroßneffe des Walzerkönigs, zum Schluss, Goldgruber und sein Team hätten „aufgrund der Dichte und der Art ihres Auftretens“ die Staatsanwaltschaft dazu gedrängt, Hausdurchsuchungen in der Zentrale des BVT sowie an vier Privatadressen durchzuführen. Goldgruber begab sich selbst auf die Suche nach Belastungszeugen. Die Justiz kommt in dem Bericht schlecht weg. „Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die ermittelnden Staatsanwälte ihren Ermittlungsdrang zugunsten von Objektivität und Folgenabschätzungen zurückgenommen hätten. Mit etwas weniger Tempo hätte der enorme Schaden unter Umständen abgewendet werden können.“
Irritationen im Ausland
Bekanntlich hatte die Razzia zu schweren Irritationen bei ausländischen Geheimdiensten geführt, dem Ausschluss aus dem „Berner Klub“, in dem die internationale Arbeit koordiniert wird, kam Österreich durch den freiwilligen Rückzug zuvor. Nachrichtendienste wie der BVT arbeiten gewöhnlich im Verborgenen. Auch ist von „erheblichen Mängeln in der Planung der Hausdurchsuchung“ die Rede.
Minutiös werden in dem Bericht die Vorbereitungen und der Ablauf der Razzia geschildert. Da niemand die BVT-Zentrale am Rennweg kannte, habe man sich via „Google Maps“ einen Überblick über die Örtlichkeiten verschafft. Zum Einsatz kam eine Polizeieinheit, die normalerweise nur Drogenhändler aufspürt. Die Hausdurchsuchung lief chaotisch ab. „Ich war etwas verwundert, weil die Kollegen weder Schachteln noch Sackerln mitgehabt haben“, schilderte einer der Betroffenen bei der Anhörung im U-Ausschuss die Vorgänge. Die Laden wurden nicht systematisch durchsucht. „Jeder ist irgendwo hingestürmt und hat eine Lade auf- und wieder zugemacht.“ Die Vermutung, dass die Einheit, der ein FPÖ-Gemeinderat vorstand, aus politischen Gründen zum Zug kam, habe sich, wie nachzulesen ist, „nicht erhärtet“. Dass die Polizisten Daten des Rechtsextremismusreferats „unbefugt mitgenommen hätten, konnte nicht belegt werden“.
Auf der Eckbank in der Küche
Metternich war es, der einst meinte, der Balkan beginne am Rennweg. In dem Bericht wird das BVT als Institution, die der Schlamperei und dem typisch österreichischen Schlendrian huldigt, dargestellt. „Ich war schon bei einigen Hausdurchsuchungen, aber so ein Chaos wie in diesem Büro habe ich noch nicht gesehen“, berichtet ein Polizist. Bei einem hochrangigen BVT-Beamten wurden „Unterlagen mit dem Stempel ,streng vertraulich‘ und leere Briefumschläge mit dem Aufdruck ,vertraulich‘“ zwischen „Papierstapeln, die einen ungeordneten Eindruck gemacht haben“ auf der Eckbank in der Küche gefunden. Der Beamte verteidigte sich mit dem Hinweis, er sei ja auf Pflegeurlaub. Zwei Wochen nach der Hausdurchsuchung stellt ein BVT-Beamter panisch fest, dass zwei Festplatten, die besonders sensible Daten europäischer Geheimdienste enthielten, nicht auffindbar seien. Noch dazu seien diese nicht mit einem Passwort geschützt. Dass sie bei der Razzia mitgenommen worden sind, hatte man, obwohl man anwesend war, nicht bemerkt.
Kein Konex zu Ibiza
In der Zwischenzeit sind die meisten Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, und das Oberlandesgericht hat die „Unverhältnismäßigkeit der Hausdurchsuchungen“ festgehalten. Noch zwei weitere Punkte aus dem BVT-Endbericht verdienen Erwähnung. So wird auf ein delikates Gespräch zwischen Goldgruber und BVT-Chef Peter Gridling verwiesen, in dem Goldgruber wenige Tagen nach der Liederbuchaffäre die Namen verdeckter Ermittler, die in der rechtsextremen Szene tätig sind, in Erfahrung bringen wollte. „Trotz der Warnung Gridlings, dass die Frage ein Sicherheitsrisiko für die Ermittler darstellen könnte, bestand Goldgruber auf der Auskunft. Zum Schutz der Ermittler beantwortet Gridling die Frage möglichst allgemein.“ In Sachen Ibiza wird festgehalten, dass es „keine Hinweise“ gebe, dass das BVT oder einzelne Mitarbeiter Kenntnis von der Existenz des Videos hatten.“