"Kosten in der Höhe von knapp sechs Milliarden Euro steht eine Gegenfinanzierung von rund 850 Millionen Euro gegenüber“. Es ist ein lapidarer Satz, den Finanzminister Eduard Müller am Mittwochnachmittag aussendet. Aber einer, der zeigt, was für eine massive Belastung für kommende Budgets die Beschlüsse darstellen, die die Parteien in der koalitionsfreien Zeit gefasst haben –beziehungsweise gerade im Begriff sind, zu fassen.
Müller, bisher eines der in der Öffentlichkeit zurückhaltendsten Mitglieder der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein, sieht die anstehenden Beschlüsse äußerst kritisch. Im Nationalrat soll heute unter anderem die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen von Niedrigverdienern, Selbstständigen und Bauern beschlossen werden – und die Erhöhung der meisten Pensionen um das doppelte der Inflation.
„Ich kann nur erneut an die Parlamentarier appellieren, auch die budgetäre Komponente bei ihren Beschlüssen miteinzubeziehen“, sagt Müller – und verweist darauf, dass die Wirtschaft in Zukunft deutlich langsamer wachsen dürfte als in den vergangenen Jahren, womit die Zeit sprudelnder Steuereinnahmen bald vorbei sein dürfte.
Auch Kritik von Wifo-Chef Badelt
In der "Zeit im Bild 2" tadelte auch der Chef des Wirtschaftsinstituts (Wifo), Christoph Badelt, die Beschlüsse. "Ich kann den Finanzminister verstehen", meinte er zu dessen Kritik. Für die einzelnen Maßnahmen gebe es zwar durchaus Argumente, aber "in der Gesamtheit sieht niemand auf die budgetären Wirkungen". Es gehe darum, was man sich durch diese teuren Beschlüsse an anderer Stelle nicht leisten könne - das werde zu wenig bedacht.
Bei der Steuerreform monierte Badelt vor allem, dass im Wahlkampf die nötige Ökologisierung des Steuersystems (Stichwort: CO2-Steuer) von allen Parteien "heruntergeredet" worden sei: "Das finde ich in höchstem Ausmaß bedauerlich und sehr populistisch."
Nur Alt-Koalition lobt Steuerreform
Wahlkampfgetrieben, aber nicht sonderlich emotional ist Donnerstagvormittag im Nationalrat die Debatte zur Steuerreform geführt worden. Für die SPÖ ist die Entlastung nicht ausreichend, für die NEOS zu viel und für JETZT falsch aufgesetzt. Die alte Koalition bejubelte hingegen die Reform.
Dass Bauern und Wirtschaftstreibende von der geplanten Entlastung ein Jahr früher als Arbeitnehmer profitieren können, fand SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner nicht fair. Dies gelte umso mehr, als es soundso eine Schieflage gebe, da 80 Prozent der Steuerlast von Arbeitnehmern geschultert würden.
Von solchen Ausgaben wollen die NEOS kurz vor der Wahl nichts hören. Heute seien wieder einmal alle dabei, wenn teure Wahlzuckerl verteilt werden, ärgerte sich Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. Das sei bitterliche Unvernunft und Zukunftsvergessenheit und nicht zuletzt ein Schlag ins Gesicht der jungen Menschen.
Damit lag die NEOS-Chefin für einmal ganz auf einer Linie mit JETZT-Klubobmann Bruno Rossmann. Es gebe weltweite Einigkeit, dass eine CO2-Steuer nötig werde, hierzulande werde sie aber von SPÖ, ÖVP und Freiheitlichen blockiert, bedauerte er. Das, was von Türkis-Blau jetzt gemacht werde - nämlich die von VP-Klubchef August Wöginger angepriesene Umgestaltung von Normverbrauchsabgabe und motorbezogener Versicherungssteuer - seien Mini-Symbolmaßnahmen.
"Wer ein Leben lang gearbeitet hat, darf nicht der Dumme sein"
Hoch erfreut zeigte sich Wöginger, dass man gemeinsam mit den Pensionistenverbänden ein großzügiges Plus für die Senioren erreicht habe. Niedrigen Bezügen wird ja die Inflation sogar doppelt abgegolten - für Wöginger zu recht: "Wer ein Leben lang gearbeitet hat, darf in der Pension nicht der Dumme sein."
FPÖ-Klubobmann Norbert Hofer schlug in die selbe Kerbe. Er sprach von einer Generation, die das Land aufgebaut und dabei nicht nur Beiträge geleistet, sondern auch fleißig Steuern gezahlt habe. Wenn eine Pensionistin jetzt 700 Euro mehr im Jahr habe, sei das nicht zukunftsvergessen, sondern beweise Verantwortung für die Aufbau-Generation, richtete Hofer Meinl-Reisinger aus.
Gedenken an Hundstorfer zum Auftakt
Die Nationalratssitzung ist mit ehrenden Worten von Präsident Wolfgang Sobotka für den vor Kurzem verstorbenen ehemaligen Sozialminister Rudolf Hundstorfer eröffnet worden. Er beschrieb Hundstorfer als stets freundlich, offen und typischen Wiener mit Schmäh. "Wir werden ihm immer ein Ehrenandenken erweisen", bedauerte Sobotka den Tod Hundstorfers. Sobotkas Worten folgte ein Moment der Stille.
Auch die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner widmete als erste Rednerin einige Worte dem verstorbenen Parteikollegen. Hundstorfer habe der Politik durch sein Handeln und sein Sein einen Hauch Menschlichkeit eingebracht, so Rendi-Wagner.
Sechs Milliarden Euro Kosten
Bis 2023 werden die Beschlüsse, die der Nationalrat im Juli gefasst hat – etwa die Pflegegeld-Valorisierung, der Papamonat oder die Entgeltfortzahlung für Freiwillige Helfer – und jene, die er diese und kommende Woche voraussichtlich noch verabschieden wird, den Steuerzahler in Summe rund sechs Milliarden kosten, hat das Finanzministerium errechnet. Demgegenüber steht weniger als eine Milliarde an Mehreinnahmen aus Maßnahmen wie der Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiung für Warenlieferungen aus Drittländern oder der neuen Digitalsteuer.
In dem Budget-Programm, das Österreich für diesen Zeitraum an die EU gemeldet hat –der langfristige Budgetplan des Staats – war bisher lediglich die geplante Steuerreform in Höhe von 2,8 Milliarden Euro eingepreist. Sprich: Mehr als drei Milliarden Euro der Beschlüsse der koalitionsfreien Zeit sind „Zusatzkosten“. „Ob der Überschuss 2020 bzw. ein Nulldefizit erreicht werden kann, ist derzeit noch nicht genau prognostizierbar und hängt auch von der Konjunktur ab“, heißt es aus dem Finanzministerium.
Pensionserhöhung und Versicherungsbeiträge
Unter den Maßnahmen, die dem Minister Kopfzerbrechen bereiten, stechen vor allem zwei hervor, die heute beschlossen werden: die Erhöhung mehr als der Hälfte der Pensionen um 3,6 Prozent (statt der Inflationsanpassung von 1,8 Prozent), die bis 2023 mit 1,6 Milliarden Euro mehr zu Buche schlägt.
Zum anderen der erste Teil der noch von türkis-blau geplanten Steuerreform. Er sieht vor allem die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge von Geringverdienern vor. Oder, genauer gesagt: So wird es verkauft. Weil sich die Parteien aber entschlossen haben, den Sozialversicherungsträgern nichts wegnehmen zu wollen, sieht der Antrag statt einer Kürzung der Arbeitnehmer-Beiträge eine höhere Negativsteuer vor, die die Versicherungsbeiträge ausgleichen soll.
Arbeitnehmer mit Jahreseinkommen bis 21.500 Euro erhalten künftig als „Sozialversicherungsbonus“ bis zu 300 Euro pro Jahr zurückerstattet, für Pensionisten steigt die Negativsteuer von 110 auf 300 Euro jährlich. Unternehmer und Bauernwerden dagegen tatsächlich entlastet: ihre Krankenversicherungsbeiträge werden um 0,85 Prozentpunkte auf 6,8 Prozent gesenkt. Den Sozialversicherungen werden die so entgangenen Beiträge aber aus dem Budget ersetzt.
Eine langsame Abkehr vom Versicherungsprinzip sieht darin Ökonom Lukas Sustala vom liberalen Thinktank Agenda Austria. Im Gespräch mit der Kleinen Zeitung befürchtet er, dass die Beschlüsse des Nationalrats nur wenig geeignet seien, die Konjunktur anzukurbeln – „durch diese Ausgaben vor der Wahl bringt sich die Politik um Spielraum für wirksamere Maßnahmen einer großen Steuerreform“, sagt Sustala.