Es gibt ein Thema, bei dem der schmale Grat, auf dem Pamela Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin der SPÖ unterwegs ist, besser sichtbar wird als allem anderen, über das die Kleine Zeitung auf der Fahrt von Wien nach Linz mit ihr spricht – und das ist die Frage nach dem Klimawandel.

„Ja, ich habe auch Angst“, sagt die 48-Jährige, die erst im vergangenen Herbst Christian Kern an der Spitze der Sozialdemokratie nachgefolgt ist – und nicht nur das, sie wird auch in der Familie in die Verantwortung genommen: „Ich habe eine 14-jährige Tochter, die bei Fridays for Future mitgeht, die das Thema auch an den Frühstückstisch mitnimmt.“

Und dann ist da noch ihre Erfahrung als Tropenmedizinerin: „Ich beschäftige mich schon lange mit dem Klimathema, weil dadurch auch Krankheiten zu uns kommen – mehr Allergien, neue Infektionskrankheiten“, sagt Rendi-Wagner, spricht über Menschen in kleinen Wohnungen in den Städten, die sich keine Klimaanlagen, leisten können, über Hitzetote und dass etwas gemacht werden muss: „Es ist ein soziales Thema, es ist ein Überlebensthema, wir müssen das angehen.“

Um dann wieder zu relativieren: „Aber nicht auf dem Rücken der Menschen, die sich nicht alles leisten können“ – Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, sollen natürlich weiter damit fahren können, bis, „Schritt für Schritt“, der öffentliche Verkehr so weit ausgebaut ist, dass jeder umsteigen kann. „Niemand soll bestraft werden, der es sich nicht leisten kann“, sagt Rendi-Wagner.

Es ist ein authentischer Moment, in dem die Expertin, die erst wenige Stunden, bevor Kern sie als Ersatz für die plötzlich verstorbene Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser in seine bereits im Zerfall begriffene Regierung holte, der SPÖ beigetreten ist, mit der Differenzierung ringt, einerseits ein evidentes Problem zu lösen – und andererseits wählbar zu bleiben, indem sie der Linie ihrer Partei treu bleibt.

Rendi-Wagner bei der Zugfahrt mit den Kleine-Redakteuren Georg Renner und Ambra Schuster.
Rendi-Wagner bei der Zugfahrt mit den Kleine-Redakteuren Georg Renner und Ambra Schuster. © Georg Aufreiter

In den Wochen vor der Wahl hat sich Pamela Rendi-Wagner merklich professionalisiert. Keine Spur mehr von der eher misslungenen Inszenierung in den Wochen nach dem Absturz der SPÖ bei der EU-Wahl und dem Sturz der Regierung Sebastian Kurz’, als Rendi-Wagners Spitzenkandidatur innerparteilich auf der Kippe stand.
Die Medizinerin hat in ihre Rolle gefunden, Sätze wie „eine Politik des Miteinanders statt Angst und Hetze“ gehen ihr inzwischen leichter von der Zunge, die Message „türkis + blau = Instabilität“ sitzt in Interviews und Fernsehdiskussionen.

In diesen Tagen will sich Rendi-Wagner nicht allzu lange mit ihrer Person aufhalten; man glaubt ihr, wenn sie sagt, „es geht ja nicht um mich und meine Befindlichkeiten, da geht es um Plan und Ziel“.
Vielleicht auch eine Strategie, mit Umfragewerten umzugehen – von einem Duell um die Spitze mit Kurz’ ÖVP kann für die SPÖ keine Rede sein: Nachdem die Grünen, 2017 von Kern aus dem Parlament gedrängt, bei dieser Wahl stark zulegen dürften, muss die Sozialdemokratie sogar um Platz 2 bangen, die Ibiza-geschwächten Freiheitlichen liegen gleichauf.

Rendi-Wagner gibt sich unverdrossen: „Ich spüre was anderes in der Bevölkerung – da ist eine Dynamik; die wahre Umfrage ist der Wahltag“; außerdem dürfe man sich in der Politik nicht nur an Statistiken und Umfragen orientieren“.

Es dürfte auch kein Zufall sein, dass sie auf der Frage nach den Stationen ihrer politischen Blitzkarriere – Sektionschefin, Ministerin, Nationalratsabgeordnete, Parteichefin und nun Spitzenkandidatin, alles in weniger als zwei Jahren – mit „der Weg entsteht im Gehen“ antwortet: dem Zitat eines spanischen Dichters, das Alfred Gusenbauer zum Titel seiner Autobiografie erkoren hat, nachdem er 2007 überraschend Wolfgang Schüssel (ÖVP) als Bundeskanzler abgelöst hatte.
Im Gegensatz zu Gusenbauer will Rendi-Wagner aber erst spät daran gedacht haben, in die Politik zu gehen. Erst im Ministerium sei ihr klar geworden, dass sie am meisten „für die Gesundheit der Menschen erreichen könnte“.

Immer wieder kommt sie auf ihren alten Beruf zurück, zeichnet Bilder, die ihre Expertise hervorstreichen sollen. Zum Beispiel, wenn sie über Ungleichheit spricht, ein Kernanliegen der SPÖ: „Ich bin Ärztin: Sie werden dann krank, wenn das Gleichgewicht des Organismus in Ungleichgewicht tritt; und das will ich nicht“.
Und wo ist ihre Schmerzgrenze, wenn das bei der Wahl nicht gewürdigt werden sollte? „Die Frage stelle ich mir nicht. Ich bin jemand, der gelernt hat auf ein Ziel zuzuarbeiten und mich nicht abbringen zu lassen.“