Welche Position die Grünen im Plenum einnehmen werde, fragte der ORF-Moderator Grünenchef Werner Kogler. „Wir sitzen gar nicht im Nationalrat“, warf dieser süffisant ein. Noch nie gab es einen Wahlkampf, wo ein Kandidat einer Partei, die nicht dem Parlament angehört, auf Augenhöhe mit den Mitbewerbern mitdiskutiert. Normalerweise würde sich Kogler mit der KPÖ, den Christen, der Bierpartei auf derselben Bühne wiederfinden. Heute ist Kogler zu Gast in der ORF-Pressestunde, der Chefredakteur der Kleinen Zeitung Hubert Patterer und Zib-1-Journalistin Claudia Danhauser stellen die Fragen.
Dass die Grünen auf der Überholspur sind, ist der Themenlage geschuldet. 2017 lag der Klima- und Umweltschutz, so die Wahltagsbefragung von Sora, beim Wahlmotiv an zehnter (!) Stelle, Spitzenreiter war die Migration. Im türkis-blauen Koalitionspakt wird der Klimaschutz im vorletzten von 25 Kapiteln beiläufig abgehandelt. Laut Umfrage bewegt derzeit kein anderes Thema die Österreicher so sehr wie die Sorge ums Klima. Der Rauswurf aus dem Parlament, die Möglichkeit, sich durch eine Stimme für die Grünen des schlechten Gewissens über die eigene klimaschädliche Lebensweise zu entledigen, sowie die überzogenen Auftritte von Peter Pilz, der den Grünen 2017 den Verbleib im Nationalrat vermasselte hatte, dürften, wie so mancher Kollege boulevardesk formuliert, am 29. September zum „größten Comeback seit Lazarus“ führen.
Zum gestrigen Wahlkampfauftakt am verregneten Maria-Thersienplatz wurde der grüne Rockstar Robert Habeck eingeflogen (oder kam er mit der Bahn?). Der Chef der deutschen Grünen rief ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf, die „Flanke zur FPÖ dicht zu machen.“ Kogler nahm den Ball auf und überraschte seine Anhänger mit dem Hinweis: „Wir werden offensiv das Gespräch suchen, um eine Wende in Österreich herbeizuführen.“ Applaus und Jubel waren überschaubar. Ob diese Gespräche von Erfolg begleitet sind? „Die Chancen sind sehr gering“, so Kogler, um an die Adresse der ÖVP den Aufruf zu richten: „Die ÖVP sollte sich ihrer christlichen Tradition besinnen, die besagt: Es ist nie zu spät zur Umkehr.“
Selten noch war die Ausgangslage vor einer Wahl so klar wie diesmal. Kurz könnte den größten Vorsprung seit 1945 einfahren, den Rekord hält Franz Vranitzky, der 1990 10,71 Prozent vor dem Zweitplatzierten Josef Riegler lag. Ein Kanzlerduell bleibt diesmal aus. Je nach Wahlausgang hat Kurz vier bis fünf Koalitionsoptionen. Sofern es sich arithmetisch ausgeht, auch mit den Grünen – so unvorstellbar eine solche Konstellation aus heutiger Sicht aufgrund der inhaltlichen Gräben, die Kurz und die Grünen trennen, auch sein mag. Dass eine Koalition mit den Grünen kein Hirngespinst ist, liegt daran, dass alle anderen Optionen (Rückkehr zur Großen Koalition mit der SPÖ? Türkis-Blau-2? Dreierkoalition? Minderheitsregierung?) wenig überzeugen.