Frau Professor Prutsch, Sie haben im Buch „Populismus in den USA und Lateinamerika“ unterschiedliche Strömungen beschrieben und Vergleiche zwischen Donald Trump, Juan und Eva Perón, Hugo Chávez und Evo Morales angestellt. War Jörg Haider der Prototyp eines Populisten?
URSULA PRUTSCH: Das war er. Haider hat es geschafft, sich als junger, wortgewandter und charismatischer Antipolitiker zu inszenieren. Als Rebell, der Grenzen überschreitet und Parteibuchanhänger entlarvt. Das war ein völlig neuer Politikstil. Wie viele Populisten war er sehr flexibel. Er hat zunächst eine deutschnationale Klientel bedient – zum Teil mit antisemitischen Tönen wie bei Ariel Muzicant – und nach einer Protestwelle 1993 umgeschwenkt. Er hat verstanden, dass er mit einer Anti-Establishment-Bewegung, die sehr proösterreichisch ist, mehr Erfolg hat. Daraus wurde „Österreich zuerst“.
Würde er in Ihr Buch passen oder funktioniert Populismus in Amerika ganz anders?
PRUTSCH: Er würde hineinpassen, wobei populistische Politik in Österreich andere Voraussetzungen hatte. In Lateinamerika und in den USA hat es bereits ganz andere soziale und ökonomische Konflikte gegeben. Es braucht ein anderes Programm, indigene Gruppen in Lateinamerika anzusprechen, die nie in die Nation eingebunden waren, oder in den USA all die Modernisierungsverlierer oder eine alte, weiße Elite, die durch eine minderheitenzentrierte Politik ihre Stimme verloren sieht. Es sind andere gesellschaftliche Bedingungen für populistische Politik, aber das Prinzip ist gleich.
Was ist gleich?
PRUTSCH: Es werden diejenigen angesprochen, die meinen, ihre Würde verloren zu haben, oder Angst vor Verlusten haben. Was Haider mit anderen Populisten verbindet, sind der Anti-Globalisierungs-Diskurs und die Stärkung der Nation.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER: Dabei muss man zwischen Formen der propagandistischen Technik und der sozialen Grundlage unterscheiden, auf der sich das abspielt. Haider kann man auf der Ebene der Kommunikationstechnik unter die Populisten einordnen. Er agierte aber vor einem anderen sozioökonomischen und kulturellen Hintergrund als latein- oder nordamerikanische Populisten. Populismus ist in erster Linie eine Kommunikationsstrategie und erst in zweiter Linie etwas Inhaltliches. Inhaltlich kann man Populismus kaum fassen. Es ist immer eine Reaktion auf bestimmte Begebenheiten.
Wo gibt es noch Unterschiede?
PRUTSCH: Nach dem Wahlsieg des ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama in den USA und eines linken, armen Präsidenten Lula da Silva in Brasilien machte sich in den klassischen, weißen Eliten die Angst breit, die Definitionsmacht zu verlieren. In dieser Hinsicht kann man die USA und Lateinamerika schon vergleichen, Österreich passt da nicht hinein. Trump ist eine Antwort auf Obama, weil er alles kaputt machen will, was Obama geschaffen hat. Und in Brasilien ist das ähnlich mit Jair Bolsonaro. In diesen Ländern, die viel autoritäre gesellschaftliche Systeme haben, sind die Eliten ökonomisch, medial und politisch stark verflochten. Es gibt dort die Angst der Eliten, dass andere Gruppen ihre Privilegien ausdünnen wollen, während in Österreich dunkelhäutige Minderheiten und Indigene in diesem Sinn keine Rolle spielen.
HOCHGESCHWENDER: Dabei ist das Gefälle in Lateinamerika zwischen den Eliten, die relativ blockartig weiß sind, und den Indigenen sowie anderen marginalisierten Gruppen noch größer als in den USA. Obama war letztlich ein Kandidat der Eliten und nicht primär der schwarzen Minderheit. Die Demokratische Partei genießt ja eine starke Unterstützung der Ostküsten- und Medienelite. Zusätzlich sind die Eliten in den USA auch noch gespalten. In der Wahrnehmung vieler sozial und kulturell Marginalisierter werden diese Eliten aber als eine Gruppe gesehen – nämlich die, die sich gegen uns richtet.
Wie wirkt sich das aus?
HOCHGESCHWENDER: Trump stützt sich hauptsächlich auf die Gruppe der Marginalisierten. Die Eliten in der Republikanischen Partei sind ja nicht trumpistisch, sie hassen ihn sogar regelrecht. Trump stützt sich auf Gruppen, die sagen: Die da oben haben uns allesamt verraten, egal ob sie demokratisch oder republikanisch sind. Es kursiert unter seinen Anhängern die Vorstellung, dass Latinos ins Land gebracht werden, damit die Löhne möglichst niedrig gehalten werden. Das ist übrigens eine Idee, die von der Linken in der Demokratischen Partei schon in den 1990er-Jahren so propagiert worden ist.
Fördert der Satz „Wir verstehen die Welt nicht mehr“ Populismus?
PRUTSCH: Es ist gar nicht so sehr der Gedanke, man verstünde die Welt nicht mehr. In Lateinamerika tun sich viele Bevölkerungsgruppen schwer, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, weil man die Bildungspolitik nie vorangetrieben hat. In Brasilien ist das wesentlich stärker ausgeprägt als in Argentinien, aber selbst dort hat es vor Populismus nicht geschützt. In Brasilien hat man mit 30 Prozent Analphabeten mit komplexen Diskursen kaum Chancen bei der Wahl. Daher muss man das runterbrechen.
Nutzt man in Südamerika andere Politikmittel?
PRUTSCH: Inszenierung spielt eine große Rolle. Die TV-Serie „Aló Presidente“ mit Hugo Chávez in Venezuela wäre für uns undenkbar. Dort ist plumpes Volksfernsehen. Viele Serien werden aber gezielt für Volksaufklärung produziert. Am Umgang mit Medien in Lateinamerika können wir etwas über das Funktionieren von Populismus lernen. In Lateinamerika haben wir eine schlechte Medienlandschaft. Es gibt kaum staatliches oder journalistisch unabhängiges Fernsehen. Es gibt viel mehr Sender als bei uns und sie sind in den Händen von Gouverneuren, die oft aus reichen Familien stammen. Chávez hat das für sich genutzt. Zeitungen und Bücher sind um ein Vielfaches teurer als in Europa. Soziale Medien sind deshalb oft das einzige leistbare Angebot und sie werden sehr stark genutzt, auch von den Indigenen. Das haben die Populisten verstanden.
HOCHGESCHWENDER: Populismus hat neben der Kanalisierung von Unzufriedenheit und dem Gefühl, marginalisiert zu sein, auch einen Unterhaltungsfaktor, der stark immunisierend wirkt. Das Charismatische ist neben dem Charisma auch mit dem Element des Unterhaltsamen verbunden. Das gilt klar für Trump. Wenn man Lehren für Europa ziehen will, muss man sich den Wahlkampf anschauen. Es gab mehrere Punkte, wo man Trump hätte aufhalten können. Die Kandidaten des Partei-Establishments haben nur sich selbst im Auge behalten. Alle stierten auf Jeb Bush und wollten nur ihn schwächen. Man hat in Kauf genommen, dass Trump stetig angewachsen ist, statt systematisch auszunutzen, wenn er dramatische Fehler machte wie beim Angriff auf John McCain oder seinen Affären. Er ist jeweils rapide in Umfragen gesunken, aber schnell zurückgekommen, weil alle Kandidaten nur darauf geachtet haben, die starken Kandidaten des Establishments zu schwächen. Der Umgang mit dem Unterhaltungsfaktor und die Frage, wie man vermeidet, dass die Etablierten nur auf sich selber achten und dabei übersehen, dass etwas daneben wächst, sind zwei Lehren aus Trump.
Ingo Hasewend