Der Kampf gegen den schwarz-roten bzw. gegen den rot-schwarzen Proporz ist so alt wie die Geschichte der Freiheitlichen und ihrer Vorgängerpartei, des Verbandes der Unabhängigen. Schon die VdU-Gründer Herbert Alois Kraus und Viktor Reimann wetterten gegen die Aufteilung der Republik in eine schwarze und eine rote Reichshälfte. Und erst recht taten dies die Nachfolger, die FPÖ-Chefs von Anton Reinthaller über Friedrich Peter, Alexander Götz, Norbert Steger und Jörg Haider bis hin zu HC Strache. Und tatsächlich wurde die Zweite Republik bereits in ihren Gründungstagen zwischen ÖVP und SPÖ aufgeteilt. Zuerst einmal natürlich die verstaatlichte Industrie, das ehemalige „Deutsche Eigentum“, und heute in ihrer Nachfolge eben die staatsnahen Betriebe.
Natürlich aber auch alle anderen gesellschaftlich relevanten politischen Bereiche, von den Schulen und den Universitäten über die Justiz, das Bankwesen und die Versicherungswirtschaft bis hin zu den Medien, zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF – das schwarze Radio und das rote Fernsehen – schlichthin eben alles bis hin zu den Sportvereinen und den Autofahrerklubs.
Als die „Zuspätgekommenen“ der Zweiten Republik konnte da das Dritte Lager trefflich dagegen polemisieren – und das mit Recht – gegen vielerlei Missstände, die sich da auftaten. Neben einem schwarzen Vorstand und einem roten Vorstand gab es dann im besten Falle noch einen, der als Fachmann die Arbeit zu erledigen hatte. Die Proporzwirtschaft eben, die Österreichs Zweite Republik bis zum heutigen Tag prägte. Am effizientesten gelang es Jörg Haider, aus dieser Kritik politisches Kapital zu schlagen. Nach ihm dann wieder HC Strache als aufstrebendem Parteichef einer fundamentaloppositionellen Partei.
Wenn eben dieselben Freiheitlichen in Regierungsverantwortung gelangten, sah die Sache anders aus: Zuerst schon als Norbert Steger mit kaum fünf Prozent an Wählerstimmen in die von Friedrich Peter und Bruno Kreisky lange Jahre vorbereitete rot-blaue Koalition schlüpfte. Aus der zwischen den Jahren 1983 und 1986 gegebenen Position der Schwäche versuchte man in zarten Ansätzen so etwas wie einen „Triporz“ unter blauer Beteiligung herzustellen. Und als man dann im Jahr 2000 als knapp stärkerer Partner mit Wolfgang Schüssel eine blau-schwarze Koalition bildete, war eben dieselbe Strategie unverkennbar. Dass Haiders Glücksritter aus der Buberlpartie versuchten, diesen umgefärbten Proporz zur persönlichen Bereicherung zu nützen, steht auf einem anderen Blatt.
Während die schwarzen Proporz-Routiniers und ihre roten Genossen die Aufteilung des Landes und zahlreicher Spitzenpositionen auch mit der durchaus verdienstvollen Sozialpartnerschaft zu legitimieren wussten, konnten dies die neuen blauen Teilhaber an den Segnungen der republikanischen Futtertröge nicht ins Treffen führen. Und überdies glaubten viele der Haider’schen Kampfgefährten, von denen kaum einer als freiheitlicher Tiefwurzler zu bezeichnen war, dies eben zum eigenen finanziellen Vorteil tun zu müssen. Während Rot und Schwarz weitgehend im Sinne ihres vermeintlichen Parteiwohls zu agieren vermochten und dafür eben mit Spitzenpositionen im Sinne des Proporzes belohnt wurden, vermeinten die Vasallen des Bärentalers einen schnellen Schnitt machen zu müssen, wussten sie doch, dass sie nach ihrem politischen Ableben mit keinerlei Versorgung in den Pfründen des rot-schwarzen Proporzsystems zu rechnen hatten. Bis zum heutigen Tag weiß die Korruptionsstaatsanwaltschaft davon ein Lied zu singen.
Und als die Freiheitlichen ein drittes Mal, nämlich im Jahr 2017 in Regierungsverantwortung kamen, gingen sie mit wohlwollender Billigung und aktiver Unterstützung des türkisen Regierungspartners wiederum daran, aus dem rot-schwarzen Proporz einen türkis-blauen zu machen.
Natürlich gab es indessen die verstaatlichte Industrie längst nicht mehr, nur noch staatsnahe Betriebe, und in den Bereichen von Justiz, Bildungswesen und den gesamten Beständen der Sozialpartner gab es kaum mehr Möglichkeiten, eigene Leute zu positionieren und damit einen Proporz neuen Stils zu begründen. Blieben also die staatsnahen Betriebe, die Bundesbahn, die OMV, die Casinos, Verbundgesellschaft und in Ansätzen der öffentlich-rechtliche Rundfunk.
Was von Rot und Schwarz, von der Öffentlichkeit und insbesondere den ihnen auch verbundenen Medien für selbstverständlich, gewissermaßen legitim hingenommen wurde, bleibt nun, wenn es vonseiten der neuen blauen Regierungspartner kam, ein Skandal. Das vom zurückgetretenen FPÖ-Chef Strache ins Treffen gebrachte Argument, dass eine Regierung Vertrauensmänner in diesen staatsnahen Betrieben haben müsse – etwa auch bei der Casinos AG –, wird nicht akzeptiert. Allerdings nur, wenn es von der FPÖ kommt, von der ÖVP sehr wohl. Und auch wenn es ausgewiesene Experten waren und sind, die etwa bei der ÖBB oder beim Verbund zum Zuge kamen, die Kritik nicht nur der politischen Mitbewerber, sondern auch der etablierten Medien war und ist den Freiheitlichen gewiss. Dass eben dieselben ausgewiesenen Experten ihre parteipolitische Zuordnung ohnedies als sekundär erachten – die ÖBB-Spitzen Gilbert Trattner und Arnold Schiefer sind treffliche Beispiele dafür –, tut da auch nichts zur Sache. Und im Falle der Besetzung des neuen Casino-Austria-Vorstands wird die ganze Sache nunmehr zum Skandal.
Tatsächlich stellten sich die Freiheitlichen bei ihrem Bestreben, den Proporz zur Hälfte auf Blau umzufärben, überaus ungeschickt an. Die schwarz-roten Proporzprofis, die das mit großer Selbstverständlichkeit und ohne jedes Unrechtsbewusstsein tun, gehen da wesentlich routinierter vor. Bei den Freiheitlichen versteht man es teilweise nicht einmal, die primitivsten Compliance-Regeln einzuhalten. Ob der vormalige Finanzstaatssekretär nunmehr noch zum Opfer ebendieses Unvermögens wird, bleibt abzuwarten.
Prinzipiell jedenfalls muss man objektiverweise feststellen, dass die proporzkritische Oppositionsrhetorik von VdU und danach der FPÖ durch sieben Jahrzehnte im Falle der drei Regierungsbeteiligungen der FPÖ nicht gehalten hat, was sie versprach. Das Hassobjekt Proporz mutierte beim jeweiligen Regierungseintritt schlagartig zum Objekt der Begierde, womit sich die moralische und dogmengeschichtliche Legitimation dieser Proporzkritik gewissermaßen erledigt.
Natürlich liegt das am Charakter des Parteienstaates, der die Zweite Republik nun einmal ist. Und die Auswüchse dieses Parteienproporzes gehen zu 90 Prozent wohl zulasten von ÖVP und SPÖ. Dort aber, wo die Freiheitlichen als Regierungskoalitionäre versuchten, sich in dieses Proporzsystem einzuklinken, haben sie bislang weitestgehend glücklos agiert. Sollten sie künftig wieder in Opposition gehen müssen und neuerlich das Thema der Proporzbekämpfung auf ihre zentrale politische Agenda nehmen, werden sie sich überaus schwertun, diesbezüglich die politische Glaubwürdigkeit wiederzubekommen. Und Glaubwürdigkeit ist bekanntlich das zentrale Kapital einer politischen Partei im demokratischen Wettstreit.