Sollte das Wählervotum für die Grünen so stark ausfallen, dass man die Gelegenheit bekomme, ernsthafte Koalitionsgespräche zu führen, "dann wird man sie führen", sagte die Tiroler Landeshauptmannstellvertreterin und ehemalige Grünen-Bundessprecherin Ingrid Felipe im APA-Sommerinterview.
Zuletzt hatte Felipe erklärt, dass eine Koalition der Grünen mit der bisher bekannten türkisen ÖVP nicht möglich sei und von einem "System Kurz" gesprochen, welches kein Partner sein könne. Damit habe sie aber nicht sagen wollen, dass eine Regierungszusammenarbeit der Öko-Partei unter einem Bundeskanzler und ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz ausgeschlossen ist. "Ich mache eine Regierungsbeteiligung nicht von Personen abhängig, sondern von Inhalten. Die Grünen stehen jedenfalls nicht dafür bereit, den türkis-blauen Kurs fortzusetzen", betonte Felipe.
ÖVP wird "grüner"
Eine Regierung mit grüner Beteiligung brauche eine "klare ökosoziale und menschenrechtsbasierte Handschrift". "Es gibt Leute in der ÖVP, die dafür einstehen. Die sind dann aber eher schwarz als türkis", meinte die Landeshauptmannstellvertreterin, die einer schwarz-grünen Landesregierung angehört. Sie merke aber, dass es auch in der Bundes-ÖVP eine heftige Debatte gebe, wie man etwa mit dem Klimaschutz umgehe. Sie orte ein "grüner werden" der ÖVP.
Auch für eine mögliche Dreierkoalition aus ÖVP, NEOS und Grünen zeigte sich Felipe durchaus aufgeschlossen. Eine solche Konstellation wäre mit den "richtigen, kooperationsbereiten Protagonisten" schon machbar. Ihre Salzburger Kollegen, die sich in einer solchen Dreierkoalition befinden, würden ihr jedenfalls von einem "guten Arbeiten" berichten.
Hoffen auf zweistelliges Wahlergebnis
Nicht infrage komme für sie ein Eintritt in eine Regierung, sollte die Grünen nur knapp den Wiedereinzug in den Nationalrat schaffe, also beispielsweise bei einem Ergebnis um die fünf Prozent. Sie hoffe, dass ein zweistelliges Wahlergebnis "drin ist", sei aber jedenfalls zuversichtlich, dass das grüne Comeback im Hohen Haus gelingt, so Felipe, die als Bundessprecherin an vorderster Front am Rausflug aus dem Nationalrat im Jahr 2017 beteiligt war. "Es ist spürbar, dass die Grünen im Parlament fehlen. Als Stimme für Ökologie, Klimaschutz, Transparenz und Anti-Korruption", erklärte die 40-Jährige. Die Ausgangsposition sei jedenfalls sehr gut, und: "Der Zeitgeist hilft den Grünen".
Als inhaltliche Grundbedingungen für eine Koalition mit Grün nannte Felipe unter anderem die Umsetzung der Wegekostenrichtlinie 2 mit einem größeren Potenzial in der Bemautung von Schwerverkehr sowie einen "radikalen Ausbau des öffentlichen Verkehrs" inklusive der Realisierung des Österreich-Tickets. "Zudem müssen alle Grauslichkeiten und Widrigkeiten von Türkis-Blau im Fremden- und Aufenthaltsgesetz rückgängig gemacht werden", forderte sie eine Kehrtwende in der Asyl- und Migrationspolitik ein. Dass in Lehre befindliche Asylwerber mit negativem Bescheid abgeschoben werden, müsse sofort, noch unter der derzeitigen Übergangsregierung, "aufhören", verlangte Felipe.
Transitfrage als Tiroler Top-Thema
Mit der Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung zeigte sich die seit 2013 im Amt befindliche Landeshauptmannstellvertreterin naturgemäß zufrieden. Hinsichtlich des derzeitigen Top-Themas der Tiroler Landespolitik, der Transitfrage, meinte Felipe, dass durch die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen Tirols und seit dem Berliner Verkehrsgipfel "ordentlich Bewegung reingekommen ist": "Die Maßnahmen zeigen Wirkung im Sinne von Interesse wecken". Man brauche nun "Kostenwahrheit und einen fairen Preis auf der Straße". Tirol wolle mit Bayern und Südtirol noch im Herbst ein "Brenner-Korridormaut-Modell" vorlegen, das dann den Nationalstaaten vorgelegt werde - als eine Art Vorstufe und Role-Model für die vehement geforderte Korridormaut von München bis Verona. Für letzteres sei sie jedenfalls "so optimistisch wie noch nie", so Felipe. Die zum Ziel gesetzte Halbierung des Transitverkehrs über den Brenner werde aber wohl erst nach der für 2028 geplanten Fertigstellung des Brennerbasistunnels erreicht, schränkte die für Verkehrsagenden zuständige Landeshauptmannstellvertreterin ein.
Ihre eigene politische Zukunft werde sich in Tirol abspielen, schloss Felipe einen weiteren Ausflug nach Wien aus. Sie werde auf jeden Fall die volle Legislaturperiode bis 2023 im Amt bleiben. Ob sie dann erneut als Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl kandidiert, sei derzeit offen. Sie habe jedenfalls viel Freude am Amt - auch wenn sie besonders nach Auffliegen der Ibiza-Affäre unter der mangelnden Reputation der Politiker gelitten habe. Dies sei der "persönlichen Motivation abträglich" gewesen. Aber diese Reflexionsphase sei abgeschlossen - und sie voll motiviert.