Wer an der braun lackierten Wohnhaustür im zweiten Wiener Gemeindebezirk beim Schild „Orient-Express“ klingelt, hat in der Regel nicht das, was man ein schönes Leben nennen kann. Jeden Tag betreten mehrere Mädchen und junge Frauen das Büro, in dem der Putz bröckelt, um sich vom Verein beraten zu lassen. Es geht um Gewalt in der Partnerschaft und drohende Zwangsehen, die jüngste „Heiratskandidatin“ in der Kartei ist 13 Jahre alt. Hier werden Notwohnungen vermittelt, Amtswege erledigt – und notfalls Identitäten geändert.

An diesem Nachmittag klingelt jedoch eine Ministerin. Ines Stilling, seit Anfang Juni Frauen- und Familienministerin, wird von den sechs Mitarbeiterinnen herzlich begrüßt – denn man kennt sich. Die letzten sieben Jahre hatte Stilling die Frauensektion im Bundeskanzleramt geleitet – und Hunderte Gespräche mit Vereinen wie diesem geführt. Deshalb weiß sie auch, worüber die Frauen im schmucklosen Sitzungszimmer mit ihr sprechen wollen – über das Budget. Und damit über ebenjenes Geld, das dem Verein fehlt.

Eine konkrete Summe

„Ich werde über die Geldmittel nicht entscheiden können – ich werde sie noch nicht einmal mitverhandeln können“, stellt die Ministerin, die nach der Wahl wieder aus dem Amt scheiden wird, gleich zu Beginn fest. „Aber ich habe beim Finanzminister bereits deponiert, dass es im Bereich Gewaltschutz und Beratung mehr Geld braucht.“ Sie habe „eine sehr konkrete Summe“ genannt, wie genau die aussieht, will sie nicht verraten. Auch ihrer Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger will sie diese hinterlassen. Mit dem Innen- und Justizministerium werde sie zudem noch über Geld für Übergangswohnungen und Prozessbegleitung verhandeln. „Natürlich hängt das vom politischen Willen ab, aber ich glaube, es ist allen bewusst, dass das Budget seit 2010 unverändert ist und dass hier Handlungsbedarf besteht.“

Täterarbeit oder Opferschutz?

Politischen Willen hatte eigentlich bereits die türkis-blaue Regierung bekundet. Nach den vielen Frauenmorden Anfang des Jahres wurde eine Taskforce einberufen, deren erarbeitetes Gesetzespaket unter anderem eine Strafverschärfung bei Gewalt- und Sexualdelikten vorsieht. Stillings Vorgängerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) verkündete damals, rund 200.000 Euro aus ihrem Budget für den Gewaltschutz umzuschichten. Auf die Frage, ob der Verein von diesem Geld etwas spürt, schütteln alle Mitarbeiterinnen den Kopf. „Vielleicht ging da das meiste in die Täterarbeit“, sagt eine von ihnen. „Deren Wichtigkeit bestreitet ja niemand“, sagt Stilling. „Trotzdem muss der Fokus auf Opferschutz liegen.“ Von höheren Strafen zeigt sich die Ministerin wenig begeistert. „Niemand von uns wird hier etwas dagegen haben. Aber höhere Strafen allein verhindern eben keine Gewaltdelikte.“ Das Gewaltschutzpaket werde laut Stilling aber wohl noch vor der Wahl vom Nationalrat durchgewinkt werden. „Es wird für kaum eine Partei argumentierbar sein, ein Gewaltschutzpaket abzulehnen.“ Dennoch wünscht sie sich Änderungen – denn einige Punkte seien nicht ausgereift. „Zum Beispiel die Bannmeile um gefährdete Personen. Theoretisch eine gute Idee, aber wie soll sich das in der Praxis durchsetzen lassen?“ Stilling hofft auf neue Gespräche – und Änderungen.

Darauf hofft auch Meltem Weiland, eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle, die Teil der Taskforce war. Sie erzählt, dass die Klientinnen des Vereins immer jünger werden. „Es sind immer mehr Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan dabei. Und da ist das Heiratsalter offenbar niedriger als zum Beispiel bei Frauen aus der Türkei.“ Stilling sieht hier den Bereich Integration gefordert. „Es darf uns nicht passieren, dass wir hier eine ganze Generation verlieren.“ Dem stimmt auch Weiland zu. Eine Entwicklung der letzten Jahre sei jedoch positiv: „Immer mehr junge Frauen kommen nicht über Sozialarbeiter oder Lehrerinnen zu uns, sondern suchen selbst Hilfe.“

Als sich Stilling verabschiedet, sagt Weiland: „Das ist spannend. Sie sind die erste Ministerin, der man die eigene Arbeit nicht erklären muss.“