Sie sind seit 3. Juni im Amt, knapp drei Wochen. Was hat Sie in den ersten drei Wochen als Innenminister überrascht?
WOLFGANG PESCHORN: Überrascht hat mich gar nichts. Erwartungen hat man im Regelfall, wenn man sich lange auf eine Entscheidung vorbereiten kann. Ich bin am Sonntag, dem 2. Juni, um 12.30 Uhr angerufen worden. Um 15 Uhr war ich beim Bundespräsidenten und bei der Bundeskanzlerin. Meine persönliche Erwartungshaltung war nicht sehr ausgebildet. Letztlich war mein Zugang der, dass man bei Herausforderungen nicht davonläuft, und daher nahm ich sie an.
Täglich ereilt uns eine neue Negativbotschaft aus Ihrem Ressort. Fühlen Sie sich als eine Art Tatortreiniger?
Es war von Anfang an klar, dass mit der Übernahme des Innenressorts große Herausforderungen verbunden sind. Das war auch eine Motivation für mich, ein Ansporn. Insofern sind die Dinge, die jetzt ans Licht kommen oder behauptet werden, keine große Überraschung.
Ist es primär ein System ÖVP, wie es Ex-Innenminister Herbert Kickl behauptet, oder ein System Kickl, wie es die ÖVP behauptet, das sich Ihnen offenbart.
Jetzt geht es einfach einmal darum, dass man genau sieht, wo überall die Herausforderungen wirklich sind, diese rasch zu evaluieren und zu analysieren. Auf dieser Grundlage ist die Frage zu stellen, was zu tun ist, damit sich die Situation verbessert. Dann kann jeder selbst diese Beurteilung, wenn man sie treffen will, vornehmen. Meine Aufgabe ist es nicht, eine parteipolitische Beurteilung vorzunehmen, sondern das Ressort bestmöglich zu führen und zu verwalten.
Anders gefragt: Reichen die Dinge Ihrem Gefühl nach von den Wurzeln her lange zurück in die Vergangenheit oder gehen sie eher zurück auf Handlungen innerhalb der vergangenen 17 Monate?
Es gibt Themen aus allen zeitlichen Bereichen.
Beamte werden angeklagt, weil sie offenbar Geld für ihnen nahestehende Organisationen abgezweigt haben, über den Stadterweiterungsfonds in Wien. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe bei meiner Antrittsrede im Parlament gesagt, dass der Innenminister der sein sollte, der sich tagtäglich für das Funktionieren des Rechtsstaats einsetzt, und das nicht nur im Außenverhältnis, gegenüber dem Bürger, sondern auch im Innenverhältnis. Jeder Österreicher, auch ein Beamter, hat das Recht auf ein faires Verfahren. Es gibt klare Regeln im Beamtendienstrecht, deren Einhaltung ich sicherstellen werde. Die Vorwürfe, die nun wieder Gegenstand von Medienberichten sind, sind seit mehr als fünf Jahren bekannt…
… und lange zugedeckt worden?
Sie sind nicht zugedeckt worden, sondern die Ermittlungen waren bei der Staatsanwaltschaft anhängig und waren auch meinen Vorgängern im Amt bekannt. Das Innenministerium hat die vermeintlichen Anklagen bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angefordert und bis heute nicht bekommen. Wir haben nun am Mittwoch das Landesgericht für Strafsachen neuerlich um Übersendung ersucht, damit das Innenministerium als Dienst- und Disziplinarbehörde die Vorwürfe prüfen und gesetzeskonform damit umgehen kann.
Es gibt offenbar auch innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BVT) Malversationen, in Richtung Wahlkampffinanzierung der niederösterreichischen ÖVP. Ist das das System ÖVP, von dem Ex-Innenminister Herbert Kickl spricht?
Ein System ist etwas, was planmäßig und immer wieder auftritt…
… von dem wäre hier dann ja wohl zu sprechen…
… eine solche Aussage erfordert eine planmäßige und sorgfältige Untersuchung. Ich habe mir vorgenommen, bis August alle Bereiche meines Ressorts einer solchen planmäßigen Untersuchung zu unterziehen, weil es wichtig ist, jene Aufgaben rasch zu identifizieren, die in den nächsten sechs Monaten, dem voraussichtlichen Zeitraum dieser Übergangsregierung, vordringlich zu erledigen sind. Ich bin der Überzeugung, dass man alle Bereiche anschauen muss, um jene Vorgänge identifizieren zu können, die geändert bzw. bereinigt werden müssen
In Bezug auf die Ära Kickl haben wir in den letzten Tagen viel gehört von Parallelsystemen, die aufgebaut wurden, von einem Extratrupp von Leuten, die bestimmte FPÖ-Minister bewacht und dafür exorbitante Zulagen kassiert haben, ebenso wie andere Mitarbeiter, allein fast 60 davon als Mitarbeiter in der politischen Führung des Ressorts. Wie gehen Sie damit um?
Ganz genau so, wie ich es schon als Präsident der Finanzprokuratur gehandhabt habe. Erstens: Den Sachverhalt erheben. Zweitens: Diesen analysieren und rechtlich prüfen, welche Probleme damit verbunden sind. Drittens: Sich überlegen, welche Antworten man darauf geben kann. Und Viertens: Rasch und ohne mit der Wimper zu zucken die richtigen Maßnahmen umzusetzen. Das bedeutet im konkreten Fall, dass erstens die Zahlen und Informationen, die in den letzten Tagen in den Medien kolportiert wurden und die nicht auf offizielle Informationen des Innenministeriums zurückgehen, zu hinterfragen sind. Sie sind aus Sicht des Innenministeriums nicht nachvollziehbar, weil sie jedenfalls unvollständig sind. Zweitens: Hat sich diese Untersuchung nicht auf eine bestimmte Ära alleine zu beschränken, weil auch allfällige systemische Mängle aufgedeckt werden sollen.
Tatsächlich ist es nicht so arg, wie dargestellt, oder noch ärger?
Noch einmal: Wenn man Maßnahmen treffen will und darüber die Öffentlichkeit bzw. das Parlament, dem ich verantwortlich bin, ernsthaft informieren will, muss man zuerst den Sachverhalt sorgfältig erheben und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Wenn, dann hat die Öffentlichkeit die volle Wahrheit zu erfahren, nicht nur unvollständige oder unrichtige Teilausschnitte. Ich habe diese Medienberichte zum Anlass genommen, die Interne Revision zu beauftragen, die Kabinette der letzten fünf Jahre, also nicht beschränkt auf ein bestimmtes Kabinett, in Hinblick auf ihre Zusammensetzung und die Kosten zu untersuchen, und ich habe damit den Auftrag verbunden, dass die Interne Revision auch die Organisation des Bundesministeriums für Inneres in Bezug auf die Umsetzung von Auskunfts- und Verschwiegenheitsverpflichtungen hinterfragt, um zukünftig sicherzustellen, dass Informationen authorisiert und vollständig erteilt werden.
Die „politischen“ Mitarbeiter und die privaten Personenschützer – was machen Sie denn mit denen?
Das ist ein Teil der Aufarbeitung, zu sehen, wie weit Personal, das vor meiner Zeit zusätzlich aufgenommen wurde, in den richtigen Bereichen eingesetzt wird.
Haben Sie den Eindruck, dass Kickl von der ÖVP abgelöst wurde, um Dinge zuzudecken, auf die jetzt das Scheinwerferlicht fällt?
Ich bin nicht dazu da, parteipolitische Spekulationen vorzunehmen.
Ihnen bleibt ein halbes Jahr, um die Missstände abzustellen. Was gehen Sie an, was lassen Sie aus?
Das ist ja gerade meine Vorgangsweise: Zunächst alles in die Untersuchung einzubeziehen, dann nach sachlichen Kriterien festzulegen, was als erstes anzugehen ist, um in weiterer Folge auch in der Lage zu sein, für die künftig Verantwortlichen Empfehlungen für weitere Vorgangsweisen zu hinterlassen. Unionsrechtliche oder österreichische gesetzliche Aufträge haben natürlich Priorität.
Was ist die größte Baustelle? Die, die Sie am meisten fordern wird?
Als einer, der knapp 35.000 Mitarbeiter zu führen und zu lenken hat, ganz rasch herauszufinden, wo die Themen sind und diese in der richtigen Reihenfolge abzuarbeiten und die Mitarbeiter dabei mitzunehmen. Das Ressort hat eine unglaubliche Spannweite, von der klassischen Polizei über Asyl und Migration bis hin zu Zivilschutz und Zivildienst. Es ist eine Herausforderung, nichts zu vernachlässigen und gerade auch nicht die Aufgaben zu übersehen, was vielleicht auch schon überfällig ist.
Können Sie Ihren Mitarbeitern im Ministerium trauen?
Ich habe es immer so gehalten, dass ich allen Mitarbeitern meine Loyalität entgegenbringe, und dass ich das auch von meinen Mitarbeitern mir gegenüber erwarte. Wenn Loyalität missbraucht wird, sind Konsequenzen zu ziehen, und die werde ich erforderlichenfall ziehen.
Haben Sie schon einen Überblick über die Ressourcen? Deckt die Personaloffensive den Bedarf ab? Reicht das Budget, sprich, können Sie mit den Polizeifahrzeugen auch noch Tanken fahren, oder geht es Ihnen ähnlich wie dem Verteidigungsminister?
Auch das soll durch die umfassenden Untersuchungen einmal vorbereitet werden, damit eine sachliche Antwort darauf gegeben werden kann, was zu tun ist, um mit den vorhandenen Ressourcen auszukommen. Sicher ist aber jedenfalls, dass die Personalaufnahmen, die eingeleitet wurden, nicht gestoppt werden.
Bis wann werden Sie den Überblick haben?
Nach zwei Monaten, also im August.
Und die Erhebungen in Bezug auf die Personalpolitik im Ministerium in den vergangenen fünf Jahren?
Zwei bis drei Monate.
Haben Sie schon einen ersten Ritt auf einem Polizeipferd eingeplant?
Als Anwalt der Republik sind mir die Haftungsrisiken bekannt, und ich sehe meine Aufgabe primär darin, als Innenminister das Ressort zu führen.
Also den Sessel zu „besitzen“ anstatt sich in den Sattel zu schwingen. Bleibt es dabei, dass die ersten berittenen Patrouillen im August starten oder wird das Projekt gestoppt?
Auch hier gilt: Qualität vor Schnelligkeit. Wir werden alle Vorhaben in den Ressorts bis August in ihrer Gesamtheit betrachten. Auch in Hinblick auf eine etwaige budgetäre Knappheit, daraus wird sich ergeben, welche Projekte umgesetzt werden können und welche nicht.
Anfang dieses Jahres waren rückkehrende Dschihadisten ein großes Thema. Wie gehen Sie damit um?
Beim zuletzt abgehaltenen Rat der Innenminister in Luxemburg war die Rückkehr der „foreign fighters“ ein wichtiges Thema, da jedes europäische Land davon betroffen sein kann. Es ist eine große Herausforderung für jeden Staat. Die Frage ist: Kann man solchen Menschen die Rückkehr verwehren? Die kurze Antwort darauf ist: Jeder österreichische Staatsbürger hat, sofern er diese Staatsbürgerschaft nicht verloren hat, grundsätzlich ein Grundrecht auf Einreise. Aber: Für mich hat die Sicherheits Österreichs und derSchutz der österreichischen Bevölkerung oberste Priorität.
Das heißt, die würden begleitet werden?
Alle meine zukünftigen Entscheidungen werde ich auf Grundlage der geltenden Gesetze treffen. Der Schutz der Bevölkerung hat oberste Priorität.
Unter Herbert Kickl gab es einen Erlass, wonach bei jeder Straftat gegenüber den Medien die Herkunft des Tatverdächtigen und der Aufenthaltsstatus zu benennen ist. Dieser wird evaluiert. Wann gibt es eine Entscheidung?
In den nächsten zwei bis drei Wochen.
Was ist Ihr Mehrwert, der Mehrwert dieser Regierung?
Ein wesentliches Ergebnis dieser Regierung könnten sein, dass die Bevölkerung sieht, dass eine ordentliche Verwaltung auch in politisch schwierigen Zeiten sichergestellt ist und dass auch in turbulenten Zeiten die Daseinsvorsorge funktioniert. Das gibt Sicherheit und Vertrauen darauf, dass unser Staat funktioniert.
Im Vertrauensindex der österreichischen Bevölkerung setzten sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein an die Spitze – was sagt uns das?
Ich freue mich darüber, dass die Bundeskanzlerin das Vertrauen der Bevölkerung hat. Wir haben schon in den letzten Monaten gesehen, dass eine Regierung, die nicht streitet, gut ankommt. Diese Regierung streitet tatsächlich nicht. Keiner muss die Sorge haben, dass das aufgesetzt ist. Ich glaube, das schlägt sich hier nieder.
Was gefällt Ihnen persönlich an Ihrem Ausflug in die Politik?
Dass ich für die Menschen in unserem Land Verantwortung übernehmen darf.
Sie haben – klarer und rascher als andere Regierungen – ein Ablaufdatum – was soll von Ihnen bleiben?
Ein Minister, der erster Mitarbeiter eines großen Ressorts war und dessen Entscheidungen stets auf nachvollziehbarer sachlicher Grundlage erfolgten.
Wer oder was ist der größte Störfaktor?
Es ist immer ein Berater und Interessensnetzwerk letztlich, das gegen die Interessen des Staates agiert und daher in Konflikt mit den Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gerät. Da gilt es als Organ der Republik dagegenzuhalten.
Claudia Gigler